Moskau Moskau musste auf "Frau Kanzler" warten

Moskau · An der großen Militärparade hat Angela Merkel bewusst nicht teilgenommen. Nach der Kranzniederlegung fand sie deutliche Worte.

Kanzlerin Merkel zu Besuch in Moskau
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Die russische Hauptstadt wartete auf Angela Merkel. Auch wenn im Vorfeld der Eindruck entstanden war, Russland könne den Tag des Sieges ohne Westbesuch gebührend begehen. Die Anreise mit einem Tag Verspätung nannte der staatliche Sender Rossija 24 eine "kleine Verspätung" der "Frau Kanzler", die selbstverständlich nur auf den Druck der USA zurückzuführen sei. Dass Europäer auch ein paar Schritte allein gehen können, ist für Russland schwer zu verstehen. Gleichwohl sprach Außenminister Sergei Lawrow von einer "Durchkreuzung der antirussischen Kampagne" des Westens. Und obwohl Merkel die Parade ausließ, um nicht von der militaristischen Propaganda des Kreml instrumentalisiert zu werden, war die Kanzlerin in Moskau gerne gesehen.

Zwei Kränze legten Merkel und Putin am Grab des unbekannten Soldaten nieder, bevor sie sich zu Gesprächen zurückzogen. Mit ungewöhnlich scharfen Worten forderte Merkel vom Kremlchef ein stärkeres Einlenken in der Ukraine-Krise. "Durch die verbrecherische und völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland einen schweren Rückschlag erlitten", sagte Merkel. Außerdem müsse Russland bei den separatistischen Rebellen in der Ukraine auf Einhaltung der seit Wochen brüchigen Waffenruhe dringen. Zwar sei die Bildung von Arbeitsgruppen zum Aushandeln einer dauerhaften Lösung des Konflikts ein Hoffnungsschimmer. Doch fehlten sonstige Fortschritte. Putin räumte ein, dass die russisch-deutschen Beziehungen "nicht die besten Zeiten" erleben würden. Dennoch war Putin bemüht, Deutschland trotz der Schwierigkeiten als "Partner und Freund" darzustellen. "Ja, wir sehen die Dinge verschieden", meinte er. Es gebe jedoch keine Alternative zu einer friedlichen Lösung der Krise. Es war das erste Treffen zwischen Merkel und Putin seit Februar, als Deutschland und Frankreich das Minsker Abkommen vermittelten.

Eine Annäherung zwischen den beiden Lagern bedeutet dieses Treffen jedoch nicht. Aber Berlin ist noch nicht wie Washington zu einer Obsession in Moskau geworden. Gestern twitterte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Duma, Alexei Puschkow: "Vor dem Hintergrund der gestrigen Feierlichkeiten haben wir ganz und gar Obamas Versuche vergessen, uns den Feiertag zu verderben. Obama ist in diesen Tagen verschwunden", er sei nicht mehr als ein Gespenst aus einer anderen Welt. Puschkow ist ein bekannter TV-Agitator mit eigener Sendung.

Wladimir Putin gab sich unterdessen mit der Gästeliste zufrieden. "Wen wir hier haben wollten, der ist auch gekommen", sagte der Kremlchef. Auch Simbabwes Präsident auf Lebenszeit, Robert Mugabe, gehörte zum Kader der Wunschgäste. Mugabe und Putin unterhielten sich ausführlich vor laufender Kamera bei einer Audienz im Kreml. Von den Mächtigeren waren der Chinese Xi Jinping gekommen, der neben Präsident Putin auf der Ehrentribüne der Parade Platz nahm. Beide Staatschefs schäkerten immer mal wieder miteinander, während die russische Rüstungsindustrie Neuigkeiten präsentierte. Darunter den als Superwaffe angekündigten neuen Panzer Armata T-14. Bei der Generalprobe war der 50-Tonnen-Koloss plötzlich liegengeblieben und musste abgeschleppt werden. Eine geplante Routinepanne hieß es offiziell. Böse Zungen lästerten, das sei der Grund, warum sich Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu Beginn der Parade bekreuzigt hätte.

Symbolik, Bilder und Parolen haben diesen größten russischen Feiertag verändert. Früher war es ein Fest der Familie und Freunde. Ein Tag des Friedens, der Besinnung und der Hoffnung, dass es dabei bleiben möge. Mit dem 70. Jahrestag hat sich die Atmosphäre verändert: Die größte, teuerste und mit 80 Minuten längste Militärparade stellte nur den äußerlichen Rahmen der zur Schau gestellten militärischen Stärke dar. Beklemmend ist die mentale Aufrüstung vieler Menschen. Sie feierten wie jedes Jahr ausgelassen, tanzten und lachten. Doch es schwang noch etwas Anderes mit. Putin hat ihnen mit dem Ukrainekrieg das Gefühl nationaler Größe zurückgegeben. Das würde sich gerne beweisen, der Weg zum Frieden führt indes über Siege. Das ist ein beunruhigender Ausblick.

Auch Ereignisse am Rande der Parade verunsicherten. In Grosny stürmten verkleidete Rotarmisten eine Attrappe des Berliner Reichstags und legten um, wer sich von den als deutsche Landser verkleideten Schauspielern in den Weg stellte. Danach wurde die Rote Fahne auf dem Reichstag gehisst. An der Deutschen Botschaft in Moskau hatten unterdessen Mitglieder des russischen Rockerclubs "Nachtwölfe" die Kopie einer Skulptur aus Berlin-Treptow aufgestellt und legten dort Blumen nieder. Das sind alles aggressive Handlungen, die mit Duldung des offiziellen Moskaus stattfinden. Es ist eine deutliche Abkehr Russlands von den europäischen Werten.

Auf der Parade hatte Putin für eine neue globale Sicherheitsstruktur plädiert und vor einer Tendenz zu neuem "Blockdenken" gewarnt. Die Rede des Kremlchefs auf der Parade machte vor allem eins deutlich: Der Kreml strebt nicht nur nach Gleichbehandlung, er beharrt auf Sonderrechten. Die Auseinandersetzung mit der Kriegsgeschichte zeigte, dass Russland die Leidensgeschichte des Krieges für sich vereinnahmt. Mit keinem Wort erwähnte er die unverhältnismäßigen Opfer der Ukraine und Weißrusslands im Zweiten Weltkrieg. "Ruhm dem Siegervolk" rief er am Ende seiner Rede aus, und jedem war klar, wer damit gemeint war. Die Exklusivität, die Putin den USA vorhält, beansprucht er auch für Russland.

(RP)
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