Berlin Machtkampf um Schloss Bellevue

Berlin · Joachim Gaucks angekündigter Rückzug löst die Nachfolge-Debatte aus, die Union und SPD gern vermieden hätten.

Nachfolger von Joachim Gauck - Machtkampf um Schloss Bellevue
Foto: dpa, RP

Es ist ein kurzer Auftritt im großen Saal im Schloss Bellevue. Von draußen flutet die Sonne den Raum mit Licht. Bundespräsident Joachim Gauck steht allein am Rednerpult. Ihm gegenüber ist eine dreistufige Tribüne aufgebaut für Kameras, Mikrofone und die Berichterstatter.

"Und ich werde es weiter ausüben", sagt Gauck über sein Amt und macht eine kleine Kunstpause, bevor er ergänzt: "Bis zum 17. März 2017." Damit ist die Nachricht ausgesprochen, die im Regierungsviertel schon länger erwartet wurde und sich am Wochenende zur Gewissheit verdichtete. Gauck verzichtet auf eine weitere Amtszeit und löst aus, was vor allem Union und SPD 15 Monate vor der nächsten Bundestagswahl so gerne vermieden hätten: eine Nachfolgedebatte.

Auch ohne Bundestagswahl vor der Brust ist es für die Parteien in der Regel kompliziert, ein Staatsoberhaupt zu finden, das zugleich als überparteilich gilt, aber eben doch ihren Stallgeruch hat. Selbst der nun so hochangesehene Gauck, der sich gerne als "linker, liberaler Konservativer" bezeichnete, benötigte zwei Anläufe, um Bundespräsident zu werden. 2010 war es Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die Gauck verhinderte und den dann glücklos agierenden Christian Wulff vorzog. Auch mit Horst Köhler, dem früheren Chef des Internationalen Währungsfonds, bewies sie 2004 - damals noch nicht im Kanzleramt - keine glückliche Hand.

Die Ausgangslage wird 2017 noch schwieriger sein, weil in der Bundesversammlung längst nicht mehr das bürgerliche oder das rot-grüne Lager eine Mehrheit haben. Über eine absolute Mehrheit, die für eine Wahl des Präsidenten im ersten oder zweiten Wahlgang benötigt wird, verfügen aktuell nur Union und SPD sowie Union und Grüne gemeinsam. Sollte es also nicht gelingen, innerhalb der großen Koalition eine Einigung über einen Kandidaten zu finden, kann die Union auch mit den Grünen paktieren.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Union und SPD nicht werden einigen können, ist hoch. Denn 2017 wird nicht nur auf Bundesebene gewählt. Gerade mal drei Monate nach der Präsidentenwahl sind auch die Bürger in NRW zum Urnengang aufgerufen. Hier will Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihre rot-grüne Koalition fortsetzen und wird sich gegen ein schwarz-rotes Signal aus Berlin sträuben.

Ein von Union und Grünen gemachter Bundespräsident würde wiederum als Vorbote einer entsprechenden Koalition auf Bundesebene aufgenommen. Das funktionierte schon öfters: 1969 wählten die Liberalen den SPD-Kandidaten Gustav Heinemann mit ins oberste Staatsamt. Ein halbes Jahr später war die sozialliberale Koalition auch im Bundestag unter Dach und Fach. Als die CDU-Vorsitzende Merkel 2004 Horst Köhler als Bundespräsidenten durchsetzen konnte, galt dies als Vorbote des Regierungswechsels zu Schwarz-Gelb. Bekanntermaßen gab es 2005 dann aber erst einmal eine große Koalition.

Wegen dieser starken politischen Symbolik, die von Bundespräsidentenwahlen ausgeht, könnte sich die CSU einem schwarz-grünen Kandidaten verweigern. Bei allen schwarz-grünen Spekulationen, die für 2017 kursieren, steht die CSU stets auf der Bremse. Aus ihrer Sicht ist eine Fortsetzung des aktuellen Regierungsbündnisses attraktiver als ein Zusammengehen mit den noch immer als politischen Feinden wahrgenommenen Grünen.

Als weitere Variante könnte die Union mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen gehen, für den sich dann im dritten Wahlgang, in dem die einfache Mehrheit ausreicht, wohl genug Stimmen finden würden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob sich respektable Kandidaten wie Bundestagspräsident Norbert Lammert oder Finanzminister Wolfgang Schäuble auf eine solche Wackelpartie einließen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel wiederum steht innerparteilich unter Druck, einen rot-rot-grünen Kandidaten aufzustellen. Allerdings müsste dieser Kandidat in einen dritten Wahlgang gehen, da Rot-Rot-Grün nur eine einfache Mehrheit erreichen kann. Zudem könnte das Signal eines von einem Linksbündnis gemachten Bundespräsidenten die SPD Stimmen kosten. Es würde nicht lange dauern, und die Wahlkämpfer der Union hätten die roten Socken kampagnentauglich wieder an der Leine hängen.

Bei der Bundespräsidentenwahl dürften also die Grünen zum Zünglein an der Waage werden. Es sei denn, die große Koalition findet in Wissenschaft, Wirtschaft oder Justiz doch einen Mann oder eine Frau, der oder die sich als parteifern, charismatisch und unverbraucht erweist und für beide wählbar ist. Doch diese Variante ist schon in politisch ruhigen Zeiten unwahrscheinlich.

(qua)
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