Peking/Pjöngjang Nordkoreanisches Beben

Peking/Pjöngjang · Kim Jong Un behauptet, eine Wasserstoffbombe gezündet zu haben. Das Ausland zweifelt. Der einzige Verbündete China ist dennoch brüskiert.

Nordkoreas neuer Atomtest hat den Fernen Osten erschüttert - auch ganz wörtlich. Der Nachbarstaat China bekam das Beben zu spüren, das die rund 100 Kilometer von seiner Grenzprovinz Jilin entfernte unterirdische Explosion ausgelöst hatte. Auf dem Sportplatz einer Schule in der ostchinesischen Stadt Yanqi trat ein meterlanger Riss im Boden auf. Pjöngjang hat mit einem Atomtest damit erstmals auch direkt die Sicherheit seines wichtigsten Verbündeten China kompromittiert.

Peking ist als einziger Unterstützer, wichtigster Wirtschaftspartner und Energieversorger der weltweit isolierten Diktatur aber auch politisch brüskiert worden. Alle guten Gesten von Partei und Regierung gegenüber Nordkorea hielten den unberechenbaren Jungdiktator Kim Jong Un nicht davon ab, seine Bombe zu zünden. "Wir wurden vorab nicht informiert", sagte eine Sprecherin des Pekinger Außenministeriums.

Ob es sich nach den drei früheren Atomtests diesmal nun wirklich um eine voll entwickelte Wasserstoffbombe gehandelt hat, wird in Südkorea und von Experten zwar stark bezweifelt. Doch hegt niemand Zweifel an der Entschlossenheit Pjöngjangs, eine Atomstreitmacht als Abschreckung aufzubauen. Wasserstoffbomben, auch H-Bomben genannt, sind komplizierter zu bauen als "einfache" Atombomben. Ihre Sprengkraft entspricht der von etwa 1000 Atombomben. Sie gewinnen ihre Energie aus der Fusion der Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium. Um diesen Prozess in Gang zu bringen, ist ein dreistufiger Prozess nötig: Ein konventioneller Sprengsatz zündet eine Atombombe, diese löst dann die Fusion aus.

Die USA gehen nicht davon aus, dass Nordkorea eine Wasserstoffbombe gezündet hat. Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte, man sehe keinen Grund, von einer veränderten Bewaffnung Nordkoreas auszugehen. Ähnliche Einschätzungen kamen aus Südkorea: Die relativ geringe Stärke des Erdbebens deute auf eine Atombombe statt einer Wasserstoffbombe hin, sagte der Abgeordnete Lee Cheol Woo.

Am 10. Dezember hatte Kim erstmals öffentlich behauptet, die neue Bombe zu besitzen. China und der Rest der Welt taten seine Worte bald als Säbelrasseln ab. Das war ein Fehler, sagt der chinesische Nordkorea-Experte Zhang Liangui. Der Politikwissenschaftler beobachtet seit Jahren, wie Pjöngjang Schritt um Schritt zur Atommacht wird. "Sein nun vierter Atomtest seit 2006 war nur eine Frage der Zeit", sagte Zhang und verlangte von der Pekinger Regierung und der internationalen Gemeinschaft, sich zu einer realistischen und illusionslosen Politik gegenüber dem Kim-Regime durchzuringen: "Nordkorea ist unmöglich im Dialog zu überreden, seine Atomwaffen aufzugeben." Alle müssten endlich verstehen, wie ernst diese Entwicklung ist. Dazu gehöre auch, sich vom "Defätismus" zu verabschieden, dass man sowieso nichts machen könne, und auch von der Politik des "Appeasement" gegenüber Nordkorea.

Auch "idealistische Hoffnungen" hält Zhang für nicht mehr zeitgemäß. Er bezog sich damit auf die immer wieder als Lösungsweg beschworenen Sechs-Parteien-Gespräche Nordkoreas mit Südkorea, China, Russland, den USA und Japan. Pjöngjang hatte seine Teilnahme schon vor Jahren "für immer" aufgekündigt. Dennoch hielten alle anderen weiter an dem Format fest.

Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua verurteilte Pjöngjang zwar scharf für seinen Test, rief aber dann alle Parteien nur dazu auf, "mit Zurückhaltung zu reagieren, um eine Verschärfung der Widersprüche zu vermeiden und so rasch wie möglich zum Dialog zurückzukehren". Das Außenministerium reagierte mit "entschiedener Ablehnung" und forderte "in schärfster Weise" Nordkorea auf, alles zu unterlassen, was die Lage verschlimmert. Doch dann plädierte es für die Fortführung der Sechser-Gespräche.

Am Morgen kurz nach 9.30 Uhr Ortszeit hatte die neue Zuspitzung, die zu Krisensitzungen in den Nachbarstaaten und im UN-Sicherheitsrat geführt hat, mit einem mittelstarken Erdbeben begonnen. Um 11.30 Uhr gab Pjöngjangs TV-Nachrichtensprecherin dann den Test einer Wasserstoffbombe bekannt. Der Befehl sei am 15. Dezember von Machthaber Kim erteilt und vergangenen Sonntag als handschriftliche Weisung bestätigt worden. Das Fernsehen zeigte das Schreiben Kims: "Die Wasserstoffbombe ist eine noch höhere Stufe der koreanischen Atomwaffenentwicklung. Der Test ist die Selbstverteidigungsmaßnahme eines souveränen Staates für seine Sicherheit. Er dient dazu, eine Invasion der USA abzuwehren."

Die Sondersendung endete mit Bildern einer gleißenden Sonne. Soldaten marschierten, Heldengesänge erklangen, Kim setzte sich in Szene. Chinas Fernsehsender übertrugen die vorab in Pjöngjang als "wichtige Nachricht" angekündigte TV-Ansprache ebenfalls live.

Die neue Eskalation fällt in eine Zeit, da sich das gespannte Verhältnis zwischen Chinas Parteichef Xi Jinping und dem jungen Machthaber Kim zu entkrampfen schien. Zum nordkoreanischen Parteijubiläum im Oktober richtete Xi überraschend ein Gratulationsschreiben an Kim. Er schickte seinen Propagandachef Liu Yunshan zu Kims großer Armeeparade. Beide Führer haben sich, seit sie 2012 ins Amt kamen, noch nie persönlich getroffen.

(RP)
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