Nach der Wahlschlappe Parteispitze fordert schnellen Neuanfang der NRW-Grünen

Berlin/Düsseldorf · In Berlin befürchten sie, die Querelen im Landesverband nach der Wahlniederlage könnten auf den Bundestagswahlkampf abfärben. Die Parteispitze erhöht deshalb den Druck auf das Personal im Westen. Das Führungschaos soll spätestens bis Mitte Juni beendet sein.

 Grünen-Chef Cem Özdemir.

Grünen-Chef Cem Özdemir.

Foto: dpa, lim pat scg

Cem Özdemir setzt sich auf sein hellgrün strahlendes Pedelec-Fahrrad, bevor er zum nächsten Berliner Termin aufbricht. "Damit komme ich überall durch. Mich ärgert nur, dass ich damit nicht schneller als 25 Stundenkilometer bin", sagt der Grünen-Chef. Auch in Nordrhein-Westfalen müsste es für den Bundesvorsitzenden schneller gehen mit der Ursachenanalyse für das Wahldebakel am letzten Sonntag und der Neuaufstellung der Fraktion.

In Berlin befürchten die Grünen bereits, dass sich die innerparteilichen Querelen um Mandate und Fraktionsführung im neuen Düsseldorfer Landtag negativ auf den Bundestagswahlkampf auswirken könnten. Özdemir soll deshalb schon Druck auf den Landesverband ausüben. In den kommenden zehn Tagen — auf jeden Fall rechtzeitig vor dem Bundesparteitag Mitte Juni — müssten die NRW-Grünen ihr Führungschaos beenden, verlangt die Parteispitze.

In Berlin sind sie auf arbeitsfähige Grüne im bevölkerungsreichsten Bundesland angewiesen. Doch die Öko-Partei liegt nach dem Wahlsonntag am Boden: Sie erreichte mit sechs Prozent nur Platz fünf hinter der FDP und der AfD, die Zahl ihrer Mandate im neuen Landtag hat sich auf nur noch 14 halbiert. Um diese wenigen Mandate ist nun ein erbitterter Kampf entbrannt: An der Basis der NRW-Grünen zeichnet sich ein Aufstand gegen die Parteispitze ab. Mehrere Kreisverbände bereiten Resolutionen und Anträge vor, die vor dem Landesparteirat am kommenden Sonntag auf weitere personelle Konsequenzen drängen.

"Klar ist es gerade nicht einfach für uns Grüne in NRW. Wir müssen die bittere Niederlage verkraften, mit allem, was da dranhängt", sagt Britta Haßelmann, die parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion. "Wir brauchen eine gründliche Analyse des Wahlergebnisses und der Fehler, die dazu geführt haben und eine Neuaufstellung. Schließlich müssen wir alle an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, für starke Grüne im Bund zu kämpfen. Das packen wir, wenn wir zusammenstehen", mahnt die Bielefelder Abgeordnete.

Noch-Schulministerin Sylvia Löhrmann hatte bereits angekündigt, ihr Mandat niederzulegen. Sehr zum Ärger vieler Basis-Grüner verweigern jedoch die Noch-Kabinettsmitglieder Barbara Steffens (Gesundheit), Johannes Remmel (Umwelt) und Horst Becker (Staatssekretär im Umweltministerium) diesen Schritt bislang — und blockieren damit das Nachrücken frischer Gesichter. Der Kreisverband Münster will dem Landesvorstand am Sonntag eine Empfehlung vorlegen. Darin heißt es: "Die bisherigen Akteure, die die Politik der Grünen auf Landesebene vertraten, stehen in einer besonderen Verantwortung. Sie sollten sich dieser Verantwortung stellen und einen Neuanfang möglich machen."

KV-Vorstand Stephan Orth sagt, damit seien "personelle, kommunikative und inhaltliche Konsequenzen" gemeint. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, personelle Konsequenzen für einen Neuanfang zu ziehen", sagt auch Anita Parker von den Grünen in Mönchengladbach. Es gehe nicht darum, Leute zu verbannen, sondern an deren Vernunft zu appellieren und jüngeren Menschen Platz zu machen. Parker: "Auf den ersten 14 Plätzen sind bis auf eine Kandidatin aus Köln nur die Etablierten, die die Wahl verloren haben. Ich erwarte, dass sich jeder von denen hinterfragt."

Außer Löhrmann will bisher aber niemand aus der alten Garde Platz machen für Jüngere mit Blick auf die nächste Landtagswahl 2022. "Natürlich gab es auch Fehler in der Wahlkampagne, deswegen trägt auch der Landesvorstand Verantwortung, die wir auf dem Landesparteirat am Sonntag benennen werden. Eine Debatte über Konsequenzen führe ich in der Partei", wiegelt auch der NRW-Landesvorsitzende Sven Lehmann ab.

In Berlin sind sie nicht nur wegen Nordrhein-Westfalen nervös. Auch der Koalitionspoker in Schleswig-Holstein strapaziert die Nerven. Im hohen Norden streben die Grünen eher widerwillig auf ein Jamaika-Bündnis aus CDU, FDP und Grünen zu. Doch ein solches Bündnis könnte manche Parteilinke reizen, beim Bundesparteitag Mitte Juni unangenehme Anträge zu stellen, die zu schädlichen kontroversen Debatten führen würden. Özdemir und seine Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt wissen: Dieser Parteitag darf nicht misslingen. Die Grünen brauchen maximale Einigkeit und Geschlossenheit auf dem Weg zur Wahl am 24. September. Özdemir will deshalb auch den Parteilinken Jürgen Trittin disziplinieren. Trittins überheblicher TV-Auftritt am Wahlabend bei "Anne Will" kamen nicht gut an in der Parteispitze.

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