Analyse zur Sperrung der A1-Rheinbrücke 400 Brücken müssen saniert werden

Düsseldorf · Die Sperrung der Rheinbrücke bei Leverkusen für Lastwagen wirft ein Schlaglicht auf den maroden Zustand der Infrastruktur in NRW. Was sind die Ursachen dafür? Droht dem Land der Verkehrskollaps?

Dezember 2012: Lkw-Chaos rund um die Rheinbrücke
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Die Lage ist so ernst, dass die unkonventionelle Lösung zu einer guten Geschäftsidee werden könnte. Ein Kölner Unternehmen, das sich auf die Abwicklung von Schwertransporten spezialisiert hat, prüft derzeit, eine neue Fährverbindung über den Rhein anzubieten. Diese könnte das rechts- rheinische Westhoven im Süden mit dem linksrheinischen Niehl im Norden der Stadt verbinden. Der Plan wurde bei einer Krisensitzung der Stadt mit Vertretern der Verkehrswirtschaft vorgestellt. Dort sitzt der Schock über die Sperrung der A 1-Brücke bei Leverkusen für Lastwagen tief.

Eilig anberaumter Fototermin

Die Schreckensnachricht aus dem Haus von NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) traf Anlieger und Fachpolitiker unvorbereitet. "Neue Schäden an der Rheinbrücke Leverkusen" lautete die lakonische Überschrift über einer Presseerklärung, die das Ministerium am vergangenen Freitag verschickte.

Aktuell seien neue Schäden festgestellt worden, die eine sofortige Sperrung für den Schwerverkehr erforderlich machten. Bei einem eilig anberaumten Fototermin an der Brücke ließ sich Groschek düster dreinblickend an der Brücke ablichten. Auch die Chefs der ansässigen Industrieunternehmen informierten sich vor Ort über den Ernst der Lage.

Kam die Erkenntnis über den Zustand des Bauwerks aber wirklich so überraschend? Christof Rasche, verkehrspolitischer Sprecher der FDP im Düsseldorfer Landtag, bezweifelt das. Der ehemalige Verkehrsstaatssekretär Horst Becker (Grüne) habe in der vergangenen Legislaturperiode fast in jeder Sitzung des Verkehrsausschusses über die dramatische Situation an den Brücken berichtet. "Die Brücke in Leverkusen stand dabei unter besonderer Beobachtung", sagt Rasche. Ihm sei nicht klar, warum die Beteiligten nicht eher über den Ernst der Lage informiert wurden. "Man hätte längst Schilder für die erwartbaren Umleitungsstrecken drucken können", erklärt der FDP-Politiker. Der Landesbetrieb Straßen NRW und das Verkehrsministerium hätten versagt. "Was in Leverkusen passiert ist, kann auch woanders passieren", sagt Rasche. Er verlangt eine Aufstellung sämtlicher Gefahrenpunkte.

In NRW müssen in den nächsten zehn Jahren rund 400 große Brücken saniert werden. Der Finanzbedarf liegt bei mindestens 3,5 Milliarden Euro. Fast alle Autobahnen sind betroffen. Viele Bauwerke sind für deutlich geringere Verkehrsbelastungen geplant worden. Der Güterverkehr hat sich seit 1980 mehr als verdoppelt. Das zulässige Gesamtgewicht der Lastwagen ist von 24 Tonnen im Jahr 1956 auf inzwischen 44 Tonnen gestiegen. Gleichzeitig hat die Zahl der genehmigungspflichtigen Schwertransporte drastisch zugenommen: In NRW werden täglich 500 Anträge gestellt.

Manche Brücken haben Mängel in der Kontruktion

Die Brücken, die jetzt in die Knie gehen, wurden in den Jahren 1960 bis 1985 gebaut. In dieser Zeit gab es Neuentwicklungen im Spannbetonbau, die zum Teil unter hohem Kostendruck umgesetzt wurden. Manche Bauwerke zeigen daher Defizite in der Konstruktion. Eine Studie des NRW-Verkehrsministeriums kommt zu dem Ergebnis, dass sie nicht ausreichend vor dem Temperatureinfluss geschützt sind und dass der Stahl zur Korrosion neigt.

Die Talbrücken mit einer Länge von mehr als 100 Metern bekommen in dem Papier besonders schlechte Noten. Auch die Rheinbrücke Neuenkamp an der A 40, die in Größe und Bauart mit der Leverkusener Rheinbrücke vergleichbar ist, steht auf der roten Liste. Vielerorts sind Tempolimits eingerichtet worden. 26 Autobahnbrücken in NRW sind bereits für Lastwagen mit einem Gewicht von mehr als 40 Tonnen gesperrt.

Wie konnte es dazu kommen? NRW-Verkehrsminister Groschek nimmt kein Blatt vor den Mund. Während die Infrastruktur in Ostdeutschland "tipptopp" sei, habe man an notwendigen Ausgaben im Westen gespart. Statt in den Erhalt zu investieren, habe man die vorhanden Mittel in Neubauprojekte gesteckt. Der Bund habe das gesamte System erheblich unterfinanziert.

Im Düsseldorfer Landtag sieht man jedoch durchaus auch eigene Versäumnisse. Ein Spitzengrüner räumt ein, es sei eher vermittelbar gewesen, bei den Straßen zu sparen, als Stellen im Schuldienst und bei der Polizei zu kürzen. Seit 2001 ging die Zahl der Beschäftigten beim Landesbetrieb von 7700 auf rund 6000 zurück. Jetzt fehlt es an einer ausreichenden Anzahl von Ingenieuren, die die Planungen für die Brückensanierung vorantreiben könnten.

Kirchturmdenken verzögert Planung

Anton Hofreiter, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag, erkennt eine weitere Ursache für die Misere beim Straßenbau — das Kirchturmdenken. Diese Haltung sei eine wesentliche Ursache für die Vielzahl der Schwachstellen im deutschen Verkehrsnetz, bilanziert der Politiker der Grünen. Statt Hunderte von Projekten aus regionalen Interessen in den Bundesverkehrswegeplan hineinzuschreiben, müsse sich die Politik dazu durchringen, vielleicht zehn absolut vorrangige Projekte zu benennen, die sich tatsächlich finanzieren lassen. Diese müssten dann zügig realisiert werden, forderte Hofreiter — der sich in seiner Partei gern als künftiger Bundesverkehrsminister handeln lässt — jüngst auf einer Fachveranstaltung in Köln.

Deutsche Wirklichkeit sei aber eine Verteilung der knappen Mittel mit der Gießkanne, sagt Hofreiter. Der Misserfolg einer solchen Politik sei beispielsweise in Thüringen zu besichtigen, wo seit mehr als zehn Jahren Brücken für eine neue ICE-Trasse allein und nutzlos in der Landschaft stünden. Bevor in vielleicht acht oder zehn Jahren der erste Zug über das Bauwerk fahren könne, müssten die Anlagen aller Voraussicht nach erst einmal saniert werden.

Hofreiter räumt ein, dass die Egoismen der einzelnen Bundesländer einer solchen strikt an den begrenzten Mitteln orientierten Baupolitik im Wege stünden. Freilich steht ebenso fest, dass NRW bei der Verteilung der Bundesmittel für Verkehrswege seit Jahrzehnten im Hintertreffen liegt und wesentlich weniger erhält, als ihm nach Einwohnerzahl und Fläche zustünde.

In Köln steht den Politikern einstweilen nicht der Sinn nach rückblickenden Analysen. Es müsse jetzt ganz schnell die Entscheidung für einen Neubau getroffen werden, forderte Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD). Schiff statt Brücke — das ist auf Dauer eben keine Lösung.

(RP/top/rm/sap)
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