Christian Lindner im Porträt FDP-Parteichef in Reserve

Düsseldorf · Erst wurde er als "Fahnenflüchtiger" beschimpft, jetzt ist er als Hoffnungsträger umjubelt. Der Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen Liberalen für die Landtagswahl begeistert die Basis der FDP an Rhein und Ruhr. Gewinnt Christian Lindner, ist er auch im Bund der Neben-Parteichef. Doch nicht alle in der FDP freuen sich darauf.

Lindner startet in Münster in den Straßenwahlkampf
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Im August 2011 war die Welt der Jungen noch in Ordnung. FDP-Chef Philipp Rösler und Gesundheitsminister Daniel Bahr gaben auf der Hochzeit von Generalsekretär Christian Lindner ein viel beachtetes Ständchen als "Boygroup". Als modern, unideologisch und gewitzt wurden die drei jungen FDP-Talente in großen Teilen der FDP umjubelt. Man sah in ihnen die neue FDP, die das "Keifend-Wirtschaftsliberale" des gestürzten Vorsitzenden Guido Westerwelle erfolgreich abstreifen würde.

Im April 2012 ist davon nicht mehr viel übrig. Gesundheitsminister Bahr hat den Vorsitz des Landesverbands abgegeben und taucht in der Fachpolitik unter, Rösler ist als Parteichef nach einem Jahr im Amt umstritten wie nie. Nur Christian Lindner, der blonde Wermelskirchener mit der großen rhetorischen Begabung, ist nach seinem Rücktritt als Generalsekretär im Dezember 2011 plötzlich wieder da. Als Hoffnungsträger der NRW-FDP hievte er seine Partei in nur zwei Wochen von zwei Prozent in den Umfragen auf vier Prozent.

Aber wer ist dieser Hoffnungsträger eigentlich? Zunächst einmal ist Christian Lindner, der sich gerne als zurückhaltender und höflicher Mensch mit gebremstem Ehrgeiz gibt, ein echter Vollblut-Politiker. Im bergischen Wermelskirchen gründet er mit Freunden den Ortsverband der Jungen Liberalen, mit 19 Jahren wird er in den Landesvorstand der nordrhein-westfälischen FDP gewählt. Auf dem Landesparteitag hatte Christian Lindner spontan seinen Sitznachbarn angeschubst und ihn gebeten, ihn vorzuschlagen.

Jüngster Abgeordneter in NRW

Zwei Jahre später ist Lindner der jüngste Landtagsabgeordnete in der NRW-Geschichte. Lindner wird kindergartenpolitischer Sprecher, seine geschliffenen Reden, sein Sprachwitz kommen an.

In der Privatwirtschaft ist er weniger erfolgreich. Sein Internet-Unternehmen Moomax, das er mit zwei Freunden im Mai 2000 gründete, geht ein Jahr später in die Insolvenz. Politisch schadet ihm die Pleite nicht. Er gilt bald als Hoffnungsträger, einer auf "den man ein Auge werfen muss", wie der damalige NRW-FDP-Chef Jürgen Möllemann bald erkennt. Möllemann erfindet den Spitznamen "Bambi". Das passt nicht nur wegen des Alters, sondern auch wegen Lindners feiner Gesichtszüge und der geraden, ein wenig pfauenhaften Haltung. Lindner ist ehrgeizig, arbeitet sich in Themen ein und studiert nebenbei Politik und Philosophie.

Vor allem die liberalen Philosophen wie David Hume und Lord Dahrendorf haben es ihm angetan. In seinem Büro als Generalsekretär hängen später Portraits von Dahrendorf und des Freiburger Freiheitsdenkers Friedrich August von Hayek. Wie kein zweiter FDP-Politiker kann Lindner aus dem Stand über die Freiheitsideen der Philosophen referieren. Ein bisschen "altklug" sei er, hatte schon Christian Lindners Grundschullehrerin in sein Zeugnis geschrieben.

2004, als Lindner in NRW Generalsekretär wird, zündet der Karriereturbo. Lindner macht mit Thesenpapieren auf sich aufmerksam, schreibt mit Philipp Rösler ein Buch, das die FDP zur neuen thematischen Offenheit aufruft. Lindner prägt den Begriff "mitfühlender Liberalismus". Und schafft sich damit erste Gegner. Die Wirtschaftsliberalen in der Partei, Rainer Brüderle, Patrick Döring, und der damalige Generalsekretär Dirk Niebel halten wenig von Lindners Thesen. Brüderle nennt die sozialliberale Stoßrichtung "Säuselliberalismus".

Mit Rösler aneinandergeraten

Parteichef Westerwelle entscheidet sich nach der Bundestagswahl 2009 trotzdem für Lindner als neuen Generalsekretär und gegen den rauflustigen, eher "klassischen" Liberalen Patrick Döring. Doch Christian Lindner kommt in seinem neuen Amt nie wirklich an. Den Umfrageabsturz kann er nicht verhindern, beim Sturz von Westerwelle ist er aber vorne mit dabei. Den Parteivorsitz selbst übernehmen will Lindner aber nicht. Er sei mit "32 Jahren zu jung für den Job", sagt er im Frühjahr 2011.

Mit dem neuen Parteichef Philipp Rösler, den Lindner mehrfach öffentlich als Freund bezeichnet hatte, gerät Lindner für viele Liberale recht überraschend schnell aneinander. Lindner fühlt sich übergangen und uninformiert. Rösler misstraut Lindner zusehends. Ausgerechnet Lindners Widersacher im Kampf um das Amt des Generalsekretärs, Patrick Döring, wird Bundesschatzmeister und darf nun auch im Thomas-Dehler-Haus, der Parteizentrale, wirken. Nach unzähligen Reibereien wirft Lindner im Dezember 2011 überraschend als Generalsekretär das Handtuch. In der Partei kritisieren ihn daraufhin viele als "Fahnenflüchtigen".

Dass Lindner wiederkommen würde, ist aber jedem klar, der in dieser Zeit mit ihm spricht. Nur weiß Lindner noch nicht wann. Die Neuwahl in NRW ist seine Chance. Ohne Rücksprache mit Parteichef Rösler verhandelt Lindner am Tag der Entscheidung mit dem Landesvorsitzenden Daniel Bahr und dem FDP-Fraktionschef Papke über sein Comeback. Lindner greift nach dem Landesvorsitz und wird damit schärfster Konkurrent Röslers. Es ist eine skurrile Situation. Wenn Lindner es schafft, die NRW-FDP überraschend in den Landtag zu bringen, sind auch Rösler und die Bundes-FDP gestärkt. Zugleich wird Lindner quasi als Neben-Parteichef in Düsseldorf fungieren.

Brüderles Verhalten wird entscheidend sein

Wie lange das gut gehen soll und wann Lindner nach dem Bundesvorsitz greifen könnte, ist derzeit die am meisten diskutierte Frage in der Partei. Sicher ist nur, dass die Rufe nach einem Führungswechsel im Bund kommen, sollten sich bis zum Sommer die Umfragewerte der FDP im Bund nicht stabilisieren. Der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki hat bereits spekuliert, dass Lindner Parteichef werden könnte. "Er weiß, dass es irgendwann auf ihn zulaufen wird", sagt Kubicki.

So wird schon jetzt aus dem Hauptmann der Reserve Christian Lindner der Parteichef in Reserve. Ein erneuter Machtkampf mit Rösler könnte unvermeidbar werden. Zwei Lager wetzen bereits die Messer: auf der einen Seite die Lindner-Gegner, Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel und Außenminister Guido Westerwelle etwa, der seinem Landsmann dessen treibende Rolle bei seinem Sturz verübelt. Auch die Chefs der Ostverbände gehören nicht zu den Lindner-Unterstützern. Zum Lindner-Lager zählen dagegen neben Kubicki Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der Chef der Jungliberalen, Lasse Becker. Auch Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher ist von Lindner angetan.

Entscheidend wird sein, wie sich der vor allem in der Wirtschaft hoch angesehene Fraktionschef Rainer Brüderle verhalten wird. Ihm werden selbst Chancen auf den Parteivorsitz nachgesagt. Doch der 66-Jährige hat sich trotz der miserablen Umfragewerte bisher loyal hinter Philipp Rösler gestellt. In Brüderles Umfeld wird glaubhaft versichert, dass er den Vorsitz nicht wolle. Eine aktive Rolle beim Sturz Röslers werde Brüderle nicht einnehmen, heißt es. Das müsste Lindner dann schon selbst organisieren.

(RP/das)
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