NRW-Haushalt Gibt es gute Schulden?

Düsseldorf · Von Konsolidierung ist im Etat 2012 der rot-grünen Landesregierung wenig zu spüren. Finanzminister Norbert Walter-Borjans ist aber sicher, bis 2020 die Neuverschuldung auf null absenken zu können.

Verschwendungsfälle 2011 in NRW
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Verschwendungsfälle 2011 in NRW

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Foto: dpa, Bernd Wüstneck

Alles nur Zufall? Von 1947 bis 1966 hatte — mit Ausnahme von zwei Jahren — die CDU in Nordrhein-Westfalen politisch das Sagen. Und bis dahin konnten die Finanzminister stets einen ausgeglichenen Etat vorweisen, einen Haushalt also, der ohne Schulden auskam.

Der Sündenfall erfolgte in den frühen 70er Jahren, als die SPD am Ruder war. Die Neuverschuldung, die mit der allgemeinen Wirtschaftskrise begründet wurde, begann — anfangs zwar moderat, doch sie wuchs unaufhörlich. Mittlerweile hat das Land 133 Milliarden Euro Schulden aufgetürmt. Zum Vergleich: Der Etat für das laufende Jahr ist mit 58,8 Milliarden Euro veranschlagt. Selbst wenn NRW zwei dieser Etats komplett zum Schuldenabbau verwenden könnte, würde die Summe nicht reichen.

Immerhin sind Bund und Länder, die allesamt keine Musterknaben beim Schuldenabbau waren oder sind, inzwischen einen wesentlichen Schritt weiter als in den zurückliegenden Jahrzehnten, als sich niemand sonderlich große Sorgen um den wachsenden Schuldenberg zu machen schien. Künftig soll eine Schuldenbremse zu einem disziplinierten Umgang mit dem Steuergeld der Bürger zwingen. Für die Länder gilt das Verbot neuer Schulden ab dem Jahr 2020.

Noch viel Zeit bis dahin? Keineswegs. Im Gegenteil wird es höchste Eisenbahn, das Steuer herumzureißen, um zu einer Null-Neuverschuldung zu gelangen. Doch davon ist dem rot-grünen Etat 2012, der wegen der Neuwahl noch auf Eis liegt und nahezu unverändert im September in den Landtag eingebracht werden soll, kaum etwas zu anmerken.

Neue Schulden trotz hoher Steuereinnahmen

Wie von Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) schon vor Monaten angekündigt, sollen bis Jahresende Kredite in Höhe von 3,6 Milliarden Euro aufgenommen werden. Hinzu kommt eine weitere Milliarde Euro als Landesanteil für die Abwicklung der WestLB. Macht zusammen 4,6 Milliarden Euro neue Schulden, und das trotz historisch hoher Steuereinnahmen.

Doch die von Hannelore Kraft (SPD) geführte Landesregierung meint ja, eine Zauberformel gefunden zu haben, mit der sich nahezu jede Kreditaufnahme rechtfertigen ließe: Ihre Schulden, so lautet das finanzpolitische Mantra der Regierung, seien Investitionen in die Zukunft, weil sich die kreditfinanzierten Ausgaben von heute irgendwann einmal rechneten. Wer das wie feststellen und vielleicht sogar in Zahlen bemessen kann, bleibt dabei offen. Aber darauf kommt es augenscheinlich auch gar nicht an. Vielmehr will Rot-Grün an diesem Argumentationsschild alle Angriffe auf das Schuldenmachen abprallen lassen.

Doch ist es wirklich richtig, soziale Wohltaten zu beschließen, obwohl dazu gar keine Mittel vorhanden sind? Im hochverschuldeten Bund etwa soll unter allen Umständen das umstrittene Betreuungsgeld durchgesetzt werden. Die Regierung Kraft wiederum hat gleich nach dem Machtwechsel in Düsseldorf 2010 die Studiengebühren abgeschafft, obwohl diese sozialverträglich gestaffelt waren und keinen triftigen Grund für einen Verzicht aufs Studium abgaben. Rot-Grün hat zudem ein beitragsfreies Kita-Jahr eingeführt und damit (wie bei den Studiengebühren) auch jene Eltern entlastet, die das finanziell überhaupt nicht nötig haben. Die Landeskasse wird dadurch jedoch mit mindestens 400 Millionen Euro pro Jahr belastet.

Hat Rot-Grün "gute Schulden" gemacht?

Erstaunlicherweise ist die CDU-Opposition in NRW, die beide Maßnahmen bis dahin aufs Schärfste verurteilt hatte, im Wahlkampf von ihrer Position abgerückt und hat sich hinter einem angeblichen Vertrauensschutz verschanzt. Das war Populismus pur — und die Wähler haben dieses tollkühne Wendemanöver am Wahltag entsprechend "gewürdigt".

Streichung von Studien- und Kitagebühren — sind das wirklich Zukunftsinvestitionen? Sind es mithin "gute Schulden", die Rot-Grün gemacht hat? Bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieser Rechtfertigungsversuch als ideologische Hülse. Denn die junge Generation, auf die sich doch angeblich das Hauptaugenmerk der Politik richtet, muss später für diesen unsoliden Kurs die Zeche zahlen. Immer neue Schulden bedeuten zusätzliche Zinsausgaben. Zwar ist derzeit ein Niedrigniveau zu verzeichnen, doch das kann sich ändern. Der Schuldendienst schnürt schon jetzt mit 4,3 Milliarden Euro den Handlungsspielraum des Landes ein. Zudem sind hohe Mehrbelastungen wegen der "Pensionslawine" absehbar.

Walter-Borjans, der noch vor zwei Jahren eine Schuldenbremse als "Akt der Selbstentmündigung" verworfen hatte, ist derweil — hier seiner Regierungschefin folgend — zum Befürworter einer Landesschuldenbremse mutiert. Seinen Plänen zufolge soll die Neuverschuldung 2017 unter zwei Milliarden Euro sinken. Im Gespräch mit unserer Zeitung zeigte er sich gestern sicher, das Ziel der Null-Neuverschuldung zu erreichen. Allerdings setzt er auch auf Einnahmeverbesserungen, sprich: Steuererhöhungen durch den Bund.

Walter-Borjans hat, sollte er bis 2020 im Amt bleiben, die große Chance, als erster sozialdemokratischer Finanzminister in die Geschichte des Landes einzugehen, der es geschafft hat, endlich mit dem Geld auszukommen, das in die Landeskasse kommt.

(RP/jre/das/ac)
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