Politik in sozialen Netzwerken Große Parteien kopieren bei den Piraten

Berlin · Wissenschaftler glauben, dass sich die Protestpartei auf Dauer etablieren kann. Sie empfehlen den etablierten Konkurrenten, die Piraten zu imitieren. Ihr Effekt werden wohl große Koalitionen sein. Eine aktuelle Umfrage sieht die Polit-Neulinge als drittstärkste Kraft.

 Der einflussreiche CDU-Politiker Peter Altmaier ist bekennender Twitter-Fan.

Der einflussreiche CDU-Politiker Peter Altmaier ist bekennender Twitter-Fan.

Foto: dpa, Lucas_Dolega

Mitglieder sollen per Internet ("Liquid Feedback") mitentscheiden und Nichtmitglieder ebenfalls mitreden können. So steht es in einem Antrag für den nächsten Bundesparteitag — nein, nicht den der Piratenpartei, sondern den der FDP. Es sind nicht irgendwelche kleinen FDP-Ortsverbände mit Nerds und Freaks, die die Piratenpartei-Prozesse für die Liberalen kopieren wollen. Sondern junge Vorzeige-Liberale wie Johannes Vogel als Autor und Katja Suding, Jimmy Schulz, Miriam Gruß, Lasse Becker und Alexander Alvaro als Mitunterzeichner, die am nächsten Wochenende sicherlich für eine Reform-Mehrheit sorgen werden.

Parteien drängen in soziale Netzwerke

Die Piratenpartei liegt nach Umfragen unverändert hoch in der Wählergunst. In einer Forsa-Umfrage kamen die Piraten am Mittwoch erneut auf 13 Prozent. Das Institut Allensbach sieht sie bei 10 Prozent, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet. Das sind die höchsten Werte, die die Partei bei den beiden Instituten bisher erreicht hat.

Für Parteienforscher Karl-Rudolf Korte aus Duisburg ist das nur der Anfang: "Die Strategie der anderen Parteien wird die Imitation sein — sie werden sich stärker in sozialen Netzwerken präsentieren und sich an jüngere Generationen wenden müssen." Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, ist selbst schon zum leidenschaftlichen Twitter- und Facebook-Nutzer geworden und schwärmt von seinen Kontakten mit führenden Piraten.

Und selbst Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck suchte jetzt in der Öffentlichkeit des sozialen Netzwerkes Rat bei den Piraten. Er erkundigte sich bei Pirat Christopher Lauer via Twitter, ob es im Internet-Vokabular ein Wort für Ironie gebe — Lauer, alias "@Schmidtlepp", verneinte knapp mit "nope".

Dabei liefern die Piraten in diesen Tagen selbst die originellste Ironie für die Tücken der einfachen Copy-and-Paste-Funktion im Internet: Mit einer einfachen Plagiate-Software untersucht, entpuppte sich das Wahlprogramm der schleswig-holsteinischen Piratenpartei zu mehr als 40 Prozent als geklaut. Und sogar schlecht kopiert. Denn beim Einfließenlassen der Forderungen ihrer baden-württembergischen Piraten-Kollegen entging den Nordlichtern, dass sie in ihrem Wahlprogramm Forderungen entweder mit den falschen Begriffen verwenden oder etwas erreichen wollen, was zwar im Südwesten noch fehlt, im Norden aber schon existiert.

Peinlichkeit nicht wahlentscheidend

Die Peinlichkeit dürfte nicht wahlentscheidend sein. Denn auch ohne Kenntnis der Inhalte liebäugeln immer mehr Wähler damit, ihr Kreuz bei den Piraten zu machen. Die Ursache sieht der Wahlforscher in den Strukturen der Gesellschaft begründet: "Wir stecken in einem Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit — die Piraten interpretieren ihn online, sozusagen digital-liberal." Für die Zukunft rechnet Korte daher mit Vielparteienparlamenten.

So sieht es auch sein Kollege Peter Lösche. Er hält für NRW einen aus sechs bis sieben Parteien bestehenden Landtag für möglich. "Die Instabilität einer solchen Konstellation ist ziemlich problematisch", so Lösche gegenüber unserer Redaktion. Den Piraten fehle eine funktionierende Organisation. Weil sie inhaltlich nicht punkten könnten, kämen sie bald in einen Sinkflug, sagt Lösche voraus. Sie würden sich auch innerparteilich immer mehr zerstreiten. Wenn sie geschickt seien, könnten sie sich aber auf Dauer als kleine Partei halten.

Serie großer Koalitionen

Und das freut insgeheim die CDU. Angesichts der Schwindsucht ihres liberalen Koalitionspartners kommt ihnen derzeit in den Bundesländern wie auch im Bund die Option auf die Regierungsmehrheit abhanden. Bis vor kurzem noch schien es ausgemacht, dass Schwarz-Gelb landauf landab von Rot-Grün abgelöst wird. Wegen der Piraten-Erfolge reicht es aber jetzt schon in Schleswig-Holstein nicht mehr für Rot-Grün, stellen sich die Parteien auf eine Serie großer Koalitionen ein.

(RP/jh-/csi/nbe/rm)
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