Ehemaliger Ministerpräsident von NRW Jürgen Rüttgers nimmt Abschied

Düsseldorf · Der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident kehrt der Politik den Rücken. Der Kölner ist ein Christdemokrat von Maß und Mitte, war ein früher Gegner neoliberaler Ideen, ein solider Regierender – und ein Ironiker mit geringer Popularität.

"Ich bin dann mal weg"...
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Der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident kehrt der Politik den Rücken. Der Kölner ist ein Christdemokrat von Maß und Mitte, war ein früher Gegner neoliberaler Ideen, ein solider Regierender — und ein Ironiker mit geringer Popularität.

Jürgen Rüttgers, einer der letzten "Kohlianer" der Christdemokratie, lässt es nun gut sein mit der aktiven Politik. Er kandidiert nicht noch einmal für den nordrhein-westfälischen Landtag, der am 13. Mai gewählt wird.

Kohlianer wie Rüttgers sind CDU-ler, die im kleinen Kreis noch heute voller Respekt vom "Dicken", gerne auch vom "Alten" sprechen, wenn sie "die Machtmaschine" Kohl, den Kanzler (16 Jahre) und CDU-Boss (25 Jahre), meinen. Kohlianer wie Rüttgers sind geografisch, vor allem aber mental verbunden mit der späten Bonner Republik, die sich in der Rückschau schön färbt wie im milden Schein der Abendsonne.

Kohlianer wie Rüttgers haben sich stets ein Gespür für Maß und Mitte des Politischen bewahrt. Bis zur Langweiligkeit mieden sie ideologische Sperenzchen und politische Experimente, wofür nach alter Erfahrung die normalen Bürger am meisten zu zahlen haben. Dabei waren Kohlianer niemals Naivlinge, jedenfalls dann nicht, wenn sie an der Seite oder unter dem Schutz und Schirm der Pfälzer Eiche wachsen und gedeihen wollten.

Jürgen Rüttgers ist hoch gewachsen: bis ins Bundesministeramt (1994—1998), schließlich auf den Sessel des NRW-Ministerpräsidenten (2005—2010). 2005 bescherte er seiner CDU einen Triumph der besonderen Art: den Sieg über die in NRW seit 1966 regierende SPD. Seltsam eigentlich: Noch nie hat ein Ministerpräsident im bevölkerungsreichsten Bundesland nach Art bayerischer Regenten vom denkbar schönsten Amt der Politik geschwärmt. Auch Rüttgers hat das nicht getan. Er hatte wohl, zumal nach dem Wahlsieg von 2005, noch Höheres im Blick: die Kanzlerschaft vielleicht, das Bundespräsidentenamt bestimmt.

Wer weiß, ob es nicht noch ein Staatsoberhaupt Dr. jur. Jürgen Rüttgers gegeben hätte, wenn der mit allen rheinischen Wassern gewaschene Silberkopf nicht als deprimierter Verlierer, sondern als strahlender Sieger aus der NRW-Wahl vor knapp zwei Jahren hervorgegangen wäre. Niemand trat dem 60-jährigen, historisch bewanderten, geistesgeschichtlich interessierten Politiker und frankophilen Europäer aus Köln-Land, genauer: Pulheim, zu nahe, der ihm heute längst verwehte Ambitionen auf das Oberstübchen der Republik unterstellte.

Alles aus und vorbei. Bei der Wahl Joachim Gaucks in der Bundesversammlung nahm man den einstigen Zukünftigen der Bonner Politik nicht in den vorderen Reihen wahr. Seit Rüttgers' böser Niederlage 2010, seit dem Niedersinken der Landes-CDU um zehn Prozentpunkte und den wackeligen Bemühungen der Partei beim Wiederaufrichten hatte sich der Regierungschef, der nur eine Legislaturperiode amtierte, politisch-parlamentarisch rar gemacht.

Die politischen Freunde wurden weniger, die Schleimer von einst krochen weg in andere Richtungen. Rüttgers hat genügend ironisches, wenn nicht zynisches Rüstzeug, um mit Häme und Treulosigkeiten fertigzuwerden. Im Übrigen gibt es eine Ehefrau mit Herz und praktischem Sinn, drei Söhne, das Heim in Pulheim, die Ferienbleibe im Süden Frankreichs, wo der Handwerkersohn gerne werkelt. Rüttgers gehört zu den Intellektuellen, die einen Nagel gerade in die Wand schlagen können.

Es gab viel Scheitern in den Monaten vor der deftigen Niederlage 2010: Ungeschicklichkeiten beim verkrampften Nachahmen des originellen, oft betulichen SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau, Hochmut und Flegelhaftigkeit im engsten Beraterzirkel, zudem Gerüche um verdecktes Parteisponsoring. Rüttgers vermochte es nicht, Landesvater-Statur zu gewinnen. Manche sagen, das hänge mit seinem Ruf zusammen, als feiner Ironiker der Macht immer noch eine Gerissenheit parat zu haben.

Bei fairer Rückschau wird man seine fünf Regierungsjahre als sehr solide bezeichnen müssen. Sein Kabinett — man denke an den modernen Integrationsminister Armin Laschet, den kernigen Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, den Schuldentilger und Finanzminister Helmut Linssen — lag deutlich über bundesrepublikanischem Durchschnitt.

Rüttgers, der sich nach nur einem Jahr in der Staatskanzlei des gescheiten, ruhig abwägenden Sprechers und Staatssekretärs Thomas Kemper entledigte, scheiterte fortan an eklatant falscher Beratung, auch an Selbstüberschätzung im hohen Amt sowie an unzureichenden Persönlichkeitswerten aus dem weiten Feld der Demoskopie. Aber Rüttgers blies auch von der schwarz-gelben Koalition im Bund ein Wind ins Gesicht, die finanzpolitischen Sturmböen aus der Ägäis ließen die Bundesregierung anfangs schlecht aussehen und sorgten für Schlagseite im Düsseldorfer Beiboot.

Zum gerechten Urteil über den Katholiken gehört: Er hat nie so begeistert wie andere in der CDU-Führung auf der verebbten Zeitgeist-Welle des Neoliberalismus zu surfen versucht. Dass man zum Wohle aller dem Markt die Zügel schießen lassen müsse, dass man Arbeitsschutz angloamerikanisch liberalisieren solle — Rüttgers hat sich dem noch vor Ausbruch der Weltfinanzkrise entgegengestemmt.

Er plädierte für den gezähmten rheinischen Kapitalismus, für die Volkspartei-Idee vom Wohlstand für alle. Seine Streitschrift von 2007 lautete: "Die Marktwirtschaft muss sozial bleiben." Dies noch: Als Kohls sogenannter Zukunftsminister formulierte Rüttgers vor der Jahrtausendwende einen Satz, der heute zum politischen Standard gehört: "Die Bildungspolitik ist die beste soziale Vorsorge im 21. Jahrhundert."

(RP/csi)
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