Sylvia Löhrmann im Interview - mit Video "Keine Schulpolitik gegen die Eltern"

Düsseldorf · Die nordrhein-westfälische Schulministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann (Grüne) über den Schulkonsens, den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Schüler, die Perspektiven der Piratenpartei, mögliche Koalitionen für Nordrhein-Westfalen und ihre persönliche Zukunft 2013

Frau Löhrmann, in den Umfragen liegen die Grünen derzeit unter ihrem Ergebnis von 2010 — obwohl Sie sich in vielen Sachgebieten profiliert haben. Ist der Wähler ungerecht?

Löhrmann Umfragen sind keine Wahlergebnisse. Letztlich entscheiden die Wähler am 13. Mai über unsere Stärke und nicht Umfragen.

Können Sie mit dem neuen Mitbewerber Piratenpartei zusammenarbeiten?

Löhrmann Mit der Piratenpartei setzen wir uns genauso auseinander wie mit anderen Mitbewerbern. Und das heißt, wir bewerten sie anhand ihrer Inhalte. Die Piratenpartei will ja gar keine Verantwortung übernehmen.

Was halten Sie vom Programm der Piraten?

Löhrmann Es gibt da durchaus Bedenkliches. Ein Kurssystem schon vor der Oberstufe ist zum Beispiel aus pädagogischer Sicht unverantwortlich, weil Kinder feste Bezugspersonen brauchen.

Bedienen die Piraten einen Wählerwunsch, den Sie nicht mehr bedienen?

Löhrmann Die Piraten binden Stimmen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Das nehmen wir ernst und merken: Wir müssen für unseren breiten Strauß an Angeboten noch offensiver werben. Und wir machen deutlich, was wir geschafft haben: den Schulkonsens zum Beispiel, der unter breiter Mitwirkung zustande gekommen ist.

Wird die Inklusion, also der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung, im Mittelpunkt künftiger NRW-Schulpolitik stehen?

Löhrmann Ja, das ist eine ganz große Herausforderung. Der Landtag muss dazu aber erst ein Gesetz verabschieden, das den Rechtsanspruch der Eltern auf einen Platz für ihr Kind mit Handicap in einer allgemeinen Schule verankert.

Wann kommt der Rechtsanspruch?

Löhrmann Wir versuchen, das zum Schuljahr 2013/14 zu erreichen.

Ist das denn realistisch?

Löhrmann Das geht nur schrittweise, nicht in einem Hauruck-Prozess, und wird mindestens zehn Jahre dauern. Vor Ort wird entschieden, welche Schulen als Vorreiterschulen vorangehen. Der Rechtsanspruch bezieht sich zunächst auf eine allgemeine Schule in zumutbarer Entfernung. Dort muss allerdings investiert werden. Dazu wollen wir einen Teil der Mittel einsetzen, die durch die sinkenden Schülerzahlen freiwerden.

Wie viel Geld wird nötig sein?

Löhrmann Das hängt davon ab, wie viele Eltern von ihrem Rechtsanspruch Gebrauch machen. Wir haben 2,8 Millionen Schüler in NRW, davon etwa 140 000 mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Ich schätze, dass auf längere Sicht durchaus mehr als 50 Prozent der Eltern interessiert sind.

Und die Förderschulen?

Löhrmann Auch hier wird letztlich der Elternwille entscheiden. Bestimmte Förderschulen, etwa für Kinder mit schweren Behinderungen, wird es bestimmt dauerhaft geben.

Hält der Schulfrieden bis 2023, wie geplant? Auch wenn Rot-Grün nach der Wahl eine klare Mehrheit hat?

Löhrmann Für mich gilt er bis 2023.

Also keine Nachbesserungen nach der Wahl? Zum Beispiel verbindlichen gemeinsamen Unterricht bis Klasse 6?

Löhrmann Nein. Längeres gemeinsames Lernen muss von unten wachsen. Ich weiß, dass ich Schulpolitik nicht gegen die Eltern machen kann und auch nicht gegen die Kommunen oder die Lehrer.

Die Eltern entscheiden?

Löhrmann Ja. Neben der Demografie ist der Elternwille entscheidend. Ich werde mir bestimmt nicht anmaßen, den Eltern vorzuschreiben, welche Schule sie wählen sollen.

Stirbt nach der Hauptschule als nächstes die Realschule?

Löhrmann Die Realschulen müssen sich damit auseinandersetzen, dass auch sie vom demografischen Wandel erfasst werden. Wir werben darum, dass sich die Realschulen mit ihren Stärken aktiv in den Entwicklungsprozess einbringen.

Wo wollen Sie demnächst sparen?

Löhrmann Wir können einige Förderprogramme als Darlehen gewähren. Wir müssen uns auch die öffentlichen Verwaltungen angucken. Und auch die Steuerpolitik des Bundes muss sich ändern, damit wir die Landesetats in den Griff bekommen. Wir brauchen einen höheren Spitzensteuersatz und eine Vermögensteuer — sonst können wir die Schuldenbremse nicht einhalten.

Ist für Sie die Fortsetzung der Minderheitsregierung in NRW denkbar?

Löhrmann Schwer vorstellbar. Ich hoffe auf ein klareres Ergebnis als bei der vergangenen Wahl.

Und "Jamaika" mit CDU und FDP?

Löhrmann Die Frage stellt sich nicht.

Eine Ampel mit SPD und FDP?

Löhrmann Die FDP macht doch deutlich, dass das nicht geht. Sie bekämpft den Schulkonsens, ist gegen mehr Klimaschutz und blockiert den Nichtraucherschutz.

Und Sie persönlich? Gehen Sie 2013 als frisches Gesicht nach Berlin?

Löhrmann (lacht) Nett, dass Sie mich mit meinen 55 Jahren als frisches Gesicht bezeichnen. Aber im Ernst: Schulpolitik ist meine Herzensangelegenheit. Nordrhein-Westfalen ist mein Platz. Und da bleibe ich.

Wenn es eine große Koalition gibt — werden Sie wieder Fraktionschefin?

Löhrmann Ich will Schulministerin bleiben.

D. Hüwel, F. Vollmer und G. Voogt fassten das Gespräch zusammen.

(RP/pst/csi/rm)
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