Analyse Lauschen ohne Limit

Washington · Der Versuch, der NSA stärkere Zügel anzulegen, ist gescheitert. Begründung: Die neue Terrorgefahr durch den IS. Der Geheimdienst darf nun in den USA weiter nahezu ungehemmt Telefondaten sammeln - und im Ausland sowieso.

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Foto: dpa, nar cul

Es sollte der wichtigste Reformschritt der NSA-Saga werden, aber auch der ist nun vertagt, wenn nicht sogar gescheitert. Knapp 18 Monate nach dem Paukenschlag, der dröhnte, als der ehemalige geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden die Lauschoffensive der National Security Agency zu enthüllen begann, hat der Senat in Washington ein Gesetz abgeblockt, das dem Abhörgeheimdienst straffere Zügel angelegt hätte.

Was die Befürworter der Novelle nach dem nächtlichen Votum empfanden, hat niemand kürzer und prägnanter formuliert als Ron Wyden, ein Senator aus dem Pazifikstaat Oregon. "Furchtbar. Das dreizehnjährige Warten, um endlich die Massenüberwachung infrage zu stellen, geht weiter", so machte der Demokrat seinem Ärger beim Kurznachrichtendienst Twitter Luft. Wyden war einer der Ersten, die das Thema im Kongress zur Sprache brachten, noch bevor Edward Snowden detailgenau schilderte, wie mächtig die Überwachungsbehörde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Namen der Terrorabwehr geworden war. Der "Patriotic Act" war als Reaktion auf die islamistischen Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon beschlossen worden. Das Anti-Terror-Gesetz bildet die rechtliche Grundlage für die NSA, im großen Stile Daten zu sammeln. Es läuft im kommenden Juni aus.

Die Enttäuschung gestern war umso größer, weil es lange nach einem Sieg der Reformer ausgesehen hatte - der "Mini-Reformer", wie der eng mit Snowden kooperierende Journalist Glenn Greenwald sie charakterisierte. Nach den neuen Paragrafen sollten die Verbindungsdaten von Gesprächen amerikanischer Telefonkunden nicht mehr direkt auf den Rechnern der NSA gespeichert werden dürfen, sondern nur noch auf denen der Telefongesellschaften. Der Geheimdienst hätte bei der Fahndung nach Terroristen konkrete Namen angeben müssen, statt wie bisher sämtliche Daten wie mit einem digitalen Schleppnetz abzufischen. Hätten die Späher eine bestimmte Nummer ins Visier nehmen wollen, hätten sie ihren Verdacht erst einmal begründen müssen. Und im Foreign Intelligence Surveillance Court, dem Geheimgericht, das Fall für Fall grünes Licht geben muss, wären neben Regierungsanwälten erstmals auch Bürgerrechtler zu Wort gekommen.

Zwar wandten Kritiker ein, dass dies alles nichts ändere am Prinzip des massiven Datensammelns. Doch ein neues Prozedere, strengere Regeln für die alte Praxis, das schien immerhin das politisch Machbare zu sein. Der stärkste Druck kam dabei von Unternehmen wie Apple, Google und Microsoft, den Schwergewichten des Silicon Valley, die massive Geschäftseinbußen befürchteten. Präsident Barack Obama, obwohl besorgt um seinen Ruf in der Welt, reihte sich nur halbherzig ein. Wohlgemerkt, es ging allein um den besseren Schutz der Privatsphäre von Amerikanern, nicht ums Ausland, dessen Sorgen in Washington nie weit oben rangierten, seit Snowden den Stein ins Rollen gebracht hatte. Aber zwischen Miami und Seattle ist die Stimmung ziemlich eindeutig: Nach einer Umfrage des renommierten Pew-Instituts machen sich 80 Prozent der US-Bürger große Sorgen oder haben zumindest ein flaues Gefühl angesichts eines "Großen Bruders", der Telefon und Internet praktisch total überwacht.

Nun sind es die Republikaner, nach der vor Kurzem gewonnenen Kongresswahl im Aufwind segelnd, die ihr Veto einlegen, noch ehe sie im Januar die Kontrolle über beide Kammern des Parlaments übernehmen werden. Bis auf vier Außenseiter in den eigenen Reihen stimmten sie geschlossen gegen die Änderungen, wie sie der Demokrat Patrick Leahy vorgeschlagen hatte. Die 42 "Nays" verhindern, dass sich der Senat gründlicher mit Leahys "Freedom Act" beschäftigen kann. Um eine solche Debatte auf die Tagesordnung zu setzen, wären 60 "Ayes", also Ja-Stimmen, nötig gewesen. Am Ende waren es aber nur 58. Eine bizarre Notiz am Rande: Ausgerechnet Rand Paul, als libertärer Republikaner einer der schärfsten Kritiker der Datenschleppnetze, verbündete sich unfreiwillig mit den Hardlinern - weil ihm die angepeilten Korrekturen nicht weit genug gingen.

Die Argumente des konservativen Kerns, sie sind im Grunde die gleichen, wie sie das Kabinett von George W. Bush nach der Attacke auf die New Yorker Zwillingstürme ins Feld geführt hatte: Wer maximale Sicherheit vor Terrorbomben wolle, müsse eine Einschränkung der Freiheit eben in Kauf nehmen, lautet der Tenor. Nur dass heute der "Islamische Staat", in Amerika meist Isil genannt, das ist, was damals Al Qaida war. Das neue Horror-Szenario eines radikalislamischen Kalifats im Herzen des Nahen Ostens, verbunden mit den Schreckensbildern enthaupteter US-Reporter und -Nothelfer, es lässt die Freunde der Geheimdienste aus der Defensive kommen.

"Dies ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um uns die Hände auf dem Rücken binden zu lassen", warnte Mitch McConnell, der designierte republikanische Mehrheitsführer des Senats: "Im Augenblick sollten wir alles unterlassen, was die Lage verschlimmern könnte." Sein Kollege Marco Rubio, für 2016 als Kandidat fürs Weiße Haus gehandelt, hält die Fähigkeit der NSA, jederzeit auf Telefondaten zugreifen zu können, für ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen die Terroristen. "Gott bewahre uns davor, dass wir morgen früh aufwachen und hören: Isil ist in den Vereinigten Staaten."

Nichts als Panikmache habe sein Gesetz zu Fall gebracht, entgegnete Leahy, ein Rechtsexperte aus Vermont, dem liberalsten der 50 Bundesstaaten. Wer Furcht vor der terroristischen Bedrohung säe, würge doch nur die sachliche Diskussion ab. Im Übrigen habe die NSA ja gerade nicht mitbekommen, wie sich der "Islamische Staat" von einer obskuren Miliz in Windeseile zu einem regionalen Machtfaktor entwickelte. "Sie verfügten über all die Instrumente, die sie immer beanspruchen, dennoch läuteten die Alarmglocken kein einziges Mal. Also bitte, beschäftigen wir uns mit den Fakten, nicht mit Fiktion."

(RP)
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