Washington Obamacare steht vor Gericht

Washington · Der Oberste Gerichtshof in Washington urteilt über die Gesundheitsreform von Barack Obama und damit auch über die Macht des US-Präsidenten. Wenn die Reform kippt, hätten die Republikaner einen entscheidenden Sieg errungen.

 Ein US-Bürger demonstriert mit einem Plakat, auf dem Obama als Sozialist bezeichnet wird, gegen die Gesundheitsreform des Präsidenten.

Ein US-Bürger demonstriert mit einem Plakat, auf dem Obama als Sozialist bezeichnet wird, gegen die Gesundheitsreform des Präsidenten.

Foto: dpa

Für Lourdes Alcaniz wäre es das jähe Ende eines kurzen Kapitels relativer Sicherheit. Ihren Lebensunterhalt verdient die alleinerziehende Mutter von vier Kindern, indem sie Bücher schreibt und Radiosender und Fernsehstationen mit Geschichten beliefert. An eine Krankenversicherung war jahrelang nicht zu denken: Ohne feste Anstellung hätte Lourdes Alcaniz sie komplett aus eigener Tasche zahlen müssen - nicht zu stemmen, zumal die Versicherungskonzerne bei Freiberuflern oft besonders hohe Beträge berechnen.

Die Rettung kam in Form von Obamacare, der Gesundheitsreform des Präsidenten Barack Obama, die ein breitgefächertes System staatlicher Subventionen einführte, je nach der Höhe des Jahresverdiensts. Lourdes Alcaniz erhält pro Monat 240 Dollar, um ihre Police bezahlen zu können. Fiele die Hilfe weg, wäre sie wieder am Ausgangspunkt: Selbst die billigste Versicherung mit dem größten Selbstbehalt wäre für die 53-Jährige zu teuer.

Ob die Beihilfen verfassungskonform sind, darüber hat nun, noch im Juni, der Oberste Gerichtshof in Washington zu befinden. Es ist ein Urteil von enormer Tragweite. Es entscheidet, ob Obamas wichtigstes innenpolitisches Projekt zu einer Erfolgsstory wird oder in die Schieflage gerät. Erklärt eine Mehrheit der neun Richter die Stützen für verfassungswidrig, müssten bis dato subventionierte Kunden nach Schätzungen der Kaiser Family Foundation in Zukunft durchschnittlich 287 Prozent mehr hinblättern. Damit schieden wohl rund 6,4 Millionen Menschen aus dem System aus.

Es wäre über ein Drittel derer, die sich den Schutz erst mit dem "Affordable Care Act" (ACA) leisten konnten. Es bedeutete die Umkehr eines Trends, den das Weiße Haus in aller Regel als ersten Posten seiner Erfolgsbilanz nennt. Waren 2013 noch 18 Prozent aller Amerikaner nicht krankenversichert, was angesichts exorbitanter Kosten in Kliniken und Arztpraxen schnell im finanziellen Ruin enden kann, falls man ernsthaft erkrankt, so sind es heute nur noch zwölf Prozent.

Der Teufel steckt im (semantischen) Detail. Ganze drei Wörter der ACA-Novelle lassen Obamas konservative Gegner ein zweites Mal zur Attacke blasen, nachdem der Supreme Court vor drei Jahren einen Generalangriff abgeschmettert und das Gesetzeswerk als solches für verfassungskonform erklärt hatte. Online-Börsen, an denen Interessenten nicht nur nach dem günstigsten Angebot suchen, sondern auch abhängig vom Einkommen Subventionen beantragen können, sind "durch den Staat" zu organisieren, heißt es im Text.

Während das Oval Office darauf beharrt, mit der Formulierung sei das Staatswesen als großes Ganzes gemeint, legen republikanische Kritiker Widerspruch ein. In ihren Augen befinden sich solche Handelsplattformen nur dann im Einklang mit dem Gesetz, wenn die einzelnen Bundesstaaten - und nicht der Bund - das Zepter in der Hand haben. Ergo, argumentieren sie, dürfen Zuschüsse nur in jenen Staaten fließen, die ihre eigene Gesundheitsbörse installiert haben.

Aktuell sind es gerade mal 16, darunter Schwergewichte wie Kalifornien und New York. 34, etwa bevölkerungsreiche wie Texas und Florida, haben auf den Aufbau solcher "Marktplätze" verzichtet, so dass die Föderation einspringen musste. In den meisten regieren republikanische Gouverneure, Politiker, die der Reform ohnehin mit Skepsis begegnen. Dass sie auf einmal in eigener Regie in die Subventionstöpfe greifen, gilt eher als unwahrscheinlich.

Und wieder einmal ist die Balance am Supreme Court ein Thema, das die Gemüter beschäftigt. Grob gesagt, steht es vier gegen vier, bei einem Joker. Samuel Alito, John Roberts, Antonin Scalia und Clarence Thomas sind dem konservativen Lager zuzurechnen, Stephen Breyer, Ruth Bader Ginsburg, Elena Kagan und Sonia Sotomayor ebenso eindeutig dem progressiven. Der Neunte der Runde, Anthony Kennedy, gilt als eine Art Sphinx in schwarzer Robe. Oft ist es seine Stimme, die Fälle entscheidet. Aber nicht immer: 2012 war es Roberts, der Chief Justice, der Obamacare, für viele überraschend vor dem juristischen Scheitern bewahrte.

(RP)
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