Analyse Eine Obergrenze ist rechtlich möglich

Gastbeitrag Nach Auffassung der Bundeskanzlerin ist eine Deckelung der Asylbewerberzahlen nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. In Wirklichkeit steht auch diese Regelung unter Vorbehalt: Es geht darum, was der Staat leisten kann.

Flüchtlinge in Berlin.

Flüchtlinge in Berlin.

Foto: dpa, nie vfd

Das deutsche Recht kenne keine Obergrenze beim Asyl, sagt die Kanzlerin. Und weil die dauernde Wiederholung offenbar das einzige rhetorische Mittel ist, das wirklich wirkt, hören wir den Satz nun tagein, tagaus von Politikern und Journalisten. Wir sollen glauben, es sei keine politische Entscheidung, sondern dem Verfassungsrecht geschuldet, dass wir 2015 über eine Million neue Einwanderer - vor allem junge Männer - ins Land gelassen haben. Der Verweis auf Recht und Gesetz verfängt immer bei den Deutschen. Wenn es so in der Verfassung steht, kann man wohl nicht mehr darüber diskutieren.

Das Problem ist nur: Der Satz ist gleich in mehrfacher Hinsicht verkehrt. Erstens: Natürlich kennt das Asylrecht (Artikel 16a Grundgesetz) eine Obergrenze. Es handelt sich nämlich juristisch gesprochen nicht um ein Abwehrrecht, sondern ein Leistungsrecht. Ein Leistungsrecht ist nicht auf schlichtes Unterlassen gerichtet (wie zum Beispiel das Folterverbot), sondern es richtet sich auf eine staatliche Leistung, in deren Genuss man kommen will, wie zum Beispiel einen Studienplatz - oder eben Asyl.

Leistungsrechte stehen aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer unter einem stillschweigenden Vorbehalt des Möglichen. Der Staat muss nicht so viele Universitäten bauen, bis wirklich alle Studierwilligen auch einen Studienplatz haben, sondern nur die existierenden Studienplätze gerecht verteilen. Das Gleiche gilt beim Asyl: Wenn die Leistungsfähigkeit der Kommunen erschöpft ist und alle Turnhallen voll sind, dann ist die Obergrenze erreicht - wie seit ein paar Wochen im liberalen Schweden, das seit Jahren sehr viele Flüchtlinge aufgenommen hat.

Zweitens: Fast niemand, der aus Syrien zu uns kommt (auch wenn er wirklich aus Syrien kommt!), ist hier asylberechtigt. Asylgrund ist nämlich nur die individuelle politische Verfolgung; Krieg und Bürgerkrieg sind keine Asylgründe, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit in so unterentwickelten wie kinderreichen Gesellschaften schon gar nicht. Das Grundrecht auf Asyl spielt daher faktisch hier gar keine Rolle.

Richtig ist: Wer als Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland kommt und hier einen Asylantrag stellt, der aber erfolglos bleiben muss, weil kein Asylgrund vorliegt, der ist "subsidiär schutzberechtigt" (Paragraf 4 Asylgesetz). Er darf nicht in das Kriegsgebiet zurückgeschickt werden. Dies gilt aber eben nur für Personen, die nach Deutschland einreisen und einen Asylantrag stellen durften. Hier liegt das Hauptproblem: Nach dem klaren Wortlaut von Artikel 16a Absatz 2 Grundgesetz und Paragraf 18 Asylgesetz dürfen die Grenzbehörden einen Ausländer ohne Visum gar nicht einreisen lassen - auch nicht, um einen Asylantrag zu stellen -, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreisen will, wie zum Beispiel Österreich. Denn alle EU-Länder sind in diesem Sinne sichere Drittstaaten, und jeder, der zu uns kommen will, hat zuvor mehrere EU-Staaten durchquert. Nach der Dublin-III-Verordnung der EU, die nie aufgehoben worden ist, aber faktisch offenbar nicht mehr zur Anwendung kommt, muss er im ersten EU-Staat, den er betritt, seinen Asylantrag stellen und sich registrieren lassen. Dass man nun seit Monaten täglich Asylbewerber etwa über die österreichische Grenze einreisen lässt und die Grenze nicht dichtmacht, ist ein klarer Rechts- und Verfassungsbruch.

Es gibt hier auch keine Ausnahmevorschrift. Zwar eröffnet Paragraf 18 Absatz 4 des Asylgesetzes die Möglichkeit, das eigentlich benötigte Visum durch eine Erlaubnis des Bundesinnenministers zu ersetzen. Diese Vorschrift ist aber - weil ja ein Visum ersetzt wird - nur auf konkrete Einzelpersonen anzuwenden, deren Identität vorab bekannt ist, nicht auf Menschenmengen unklarer Identität und Herkunft. Auch der Bundesinnenminister kann nicht einfach das Asylgesetz und das Grundgesetz insgesamt außer Kraft setzen.

Vielen Politikern mag nun diese Rechtslage jedoch als inhuman erscheinen. Wenn dem so ist, dann muss der Bundestag das Asylgesetz und Artikel 16a des Grundgesetzes eben entsprechend ändern. Das tut der Bundestag aber nicht, sondern er schaut dem täglichen Rechts- und Verfassungsbruch einfach tatenlos zu.

Theoretisch könnte man auch noch erwägen, ob vielleicht ein "übergesetzlicher Notstand" vorliegt. Nur: Die Bundesregierung beruft sich ja keineswegs auf übergesetzliches Notstandsrecht, sondern behauptet, nur in Gemäßheit der Verfassung zu handeln. Und das ist eindeutig gelogen. Egal, wie häufig man es auf allen Fernsehkanälen wiederholt. Und wer sich einmal den Wortlaut des Artikels 16a Grundgesetz und des Paragrafen 18 Asylgesetz durchliest, merkt das sofort.

(RP)
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