Demonstranten stellen Ultimatum China fürchtet Hongkongs Bürgerrechtler

Peking · Die Proteste in der chinesischen Sonderverwaltungszone weiten sich aus. Die Fronten sind verhärtet. Die Studentenführer stellten ein Ultimatum, die Regierung fordert das Ende der Proteste. Die "Regenschirmrevolution" beunruhigt die chinesische Staatsführung. Mancher fühlt sich an Peking 1989 erinnert.

Hongkong - die Proteste weiten sich aus
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Für die jüngsten Massendemonstrationen von Schülern und Studenten in Hongkong und ihre anhaltende Kampagne zum zivilen Ungehorsam kursiert ein bunter Begriff: die "Regenschirm-Revolution". Die kommunistische Führung in Peking, die hinter allen Protestbewegungen subversive Kräfte vermutet, lässt das neue Schlagwort im chinesischen Internet strikt zensieren. In Hongkong ist es dennoch zum geflügelten Wort geworden.

Auch gestern legten Tausende junge Demonstranten den Innenstadtverkehr im Geschäfts- und Regierungsviertel der City lahm. Sie demonstrieren seit Tagen gegen Hongkongs Verwaltungschef und für freie Wahlen 2017. Die Protestler kampierten auf den Straßen unter ungezählten bunten Schirmen - ihren neuen Wahrzeichen - in der Sonne. Der friedliche Eindruck wurde am Mittag durch den vorläufigen Rückzug martialisch ausgerüsteter Polizeikräfte noch verstärkt.

Ein fröhliches Chaos wie vor Tiananmen

Sie erinnerten langjährige Beobachter an das fröhliche Chaos während der Maitage 1989 im Zentrum Pekings. Mit Massenaufmärschen vor und auf dem Tiananmen-Platz wollten damals Studenten den Dialog mit Chinas Führung über politische Reformen erzwingen. Jedoch eskalierten in der Hauptstadt die Ereignisse später bis zum mörderischen Massaker, das die aufmarschierende Volksbefreiungsarmee am 4. Juni 1989 auf den Straßen Pekings anrichtete.

Der Begriff "Tiananmen" ist bei den Hongkongern unvergessen, die in alljährlichen großen Gedenkveranstaltungen an die im Rest Chinas totgeschwiegenen Ereignisse erinnern. Am Montag dementierte Hongkongs Verwaltungschef Leung Chun-ying in einer Fernsehansprache "Gerüchte", wonach seine Polizei auf Demonstranten geschossen hat, und dass die in Hongkong stationierte Garnison der Volksbefreiungsarmee gegen die Studentendemonstrationen eingesetzt wird: "Das ist alles völlig unwahr."

Hongkong fürchtet den Kontrollverlust

Doch die Spannungen wachsen. Am Dienstag setzten die Studenten lokalen Medien zufolge ein Ultimatum. Sollten ihre Forderungen nach einem Rücktritt des Regierungschefs und einer Rücknahme der Wahlreform bis Mittwoch nicht erfüllt werden, wollten sie die Proteste noch ausweiten. Der Hongkonger Regierungschef Leung Chun-ying forderte im Gegenzug ein "sofortiges" Ende der Demonstrationen. Die Zentralregierung in Peking werde nicht einlenken.

Twitter ist wie zuletzt so häufig das zentrale Medium der Protestbewegung geworden. Unter dem Hashtag #Occupycentral sammeln sich Mitteilungen und Bilder aus Hongkong im Sekundentakt. Einen eindrucksvollen Einblick in die Geschehnisse aus Hongkong offenbarte Twitter mit einer Mitteilung, die die meistgeteilten Bilder der vergangenen Tage zeigt.

Mancher ältere Hongkonger Bürger hält eine Wiederholung der Pekinger Tragödie immerhin für vorstellbar, falls die Proteste außer Kontrolle geraten. Hongkongs Wirtschaft zeigte sich bereits beunruhigt. Die "Occupy-Central"-Bewegung (benannt nach dem Finanzviertel) rief dazu auf, weiter zu demonstrieren - bis Peking zu wirklichen Reformen bereit ist.

Paragraf sechs lässt den Einsatz der Armee zu

Grundsätzlich dürfen Chinas Truppen nach der Maxime "Ein Land, zwei Systeme" für Hongkong, das sich seit der Rückgabe von Großbritannien an China 1997 selbst verwaltet, nur dann mobilisiert werden, wenn die Volksrepublik den übergreifenden Kriegsfall ausruft. Paragraf sechs im Armeerecht gibt allerdings dem Pekinger Volkskongress weitgehende Vollmachten, die Armee in Hongkong auch aus anderen Gründen in Alarmzustand zu versetzen. Dazu gehört, wenn der Volkskongress Gefahren für die Einheit Chinas oder Unruhen ausmacht, mit denen Hongkongs Regierung nicht fertig wird.

Vergangenen Juni begrenzte Peking zudem die Rechte der Sonderverwaltungszone weiter: Alle Sonderrechte können nun widerrufen werden, wenn sich die Volksrepublik durch Ereignisse in Hongkong in ihrer Sicherheit gefährdet sieht. Im September pressten dann neue Bestimmungen des Volkskongresses die Rechte der Hongkonger im Wahlverfahren 2017 in ein enges Korsett an Vorbehalten. Demnach werden die mehr als fünf Millionen Wahlberechtigten nur zwischen zwei bis drei Kandidaten auswählen dürfen, die von einem Wahlgremium mit 1200 Mitgliedern nominiert werden. Kandidat kann nur werden, wer von der Hälfte der Mitglieder des Gremiums akzeptiert wird.

Die Ängste werden indirekt deutlich

Seit Wochen gärt daher der Zorn der Bürger gegen ihre Entmündigung. Die Wucht der jüngsten Demonstrationswelle der Schüler und ihre plötzliche Ausweitung haben die chinesische Führung aber ebenso aufgeschreckt wie die Regierung in Hongkong. Peking fürchtet bei einer weiteren Eskalation auch die öffentliche Demontage seines Modells "Ein Land, zwei Systeme".

Die kommunistische Führung wiederholte zwar, dass sie noch keine schwere Krise in Hongkong sehe: "Die Zentralregierung hat volles Vertrauen zur Regierung der Sonderverwaltungszone. Sie unterstützt ihr entschiedenes rechtmäßiges Vorgehen gegen alle illegalen Aktionen." Mit anderen Worten: Noch versichert Peking, nicht eingreifen zu müssen - und schaut erst einmal nur zu, wie Hongkong mit den Protesten fertig wird.

Die Reaktion Chinas auf 1989 und auf Hongkong 2014 sei nicht vergleichbar, kommentierte auch das linientreue Parteiblatt "Global Times". Der Kommentator verriet aber indirekt, welche Furcht Pekings Parteiführung plagt: In Hongkong gebe es "weder die Bedingungen für eine Revolution, noch haben die Kräfte auf den Straßen genug Einfluss, um die gesamte Bevölkerung zu mobilisieren".

(RP)
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