Istanbul Öcalans Nichte schafft es ins Parlament

Istanbul · Dilek Öcalan vertritt künftig die Kurdenpartei in der Türkei. Allerdings drohen schon Neuwahlen.

Eine 28-jährige Frau aus Südostanatolien steht heute im Scheinwerferlicht der türkischen Öffentlichkeit: Dilek Öcalan, Nichte von Abdullah Öcalan, dem inhaftierten Chef der PKK-Kurdenrebellen, hat einen Sitz im neuen türkischen Parlament errungen, das in Ankara zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt. Bei der Eröffnungssitzung wird Öcalan als eine der jüngsten Abgeordneten sogar im Parlamentspräsidium Platz nehmen.

Für türkische Rechtsnationalisten wird damit ein Alptraum Wirklichkeit. Als die Türkei im Jahr 2002 die Todesstrafe abschaffte und dem PKK-Chef damit den Strang ersparte, sagte die rechtsgerichtete Partei MHP halb im Scherz voraus, eines Tages werde Öcalan wohl auch noch im Parlament sitzen.

Dieser Tag könnte näherrücken: Die erfolgreiche Kandidatur von Dilek Öcalan für die Kurdenpartei HDP bildet einen Schritt bei der Rehabilitierung des PKK-Chefs. Viele Kurden fordern bereits die Freilassung des Rebellenführers, der seit 1999 eine lebenslange Haftstrafe auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul absitzt und seit mehr als zwei Jahren mit Ankara über ein Ende des Kurdenkonflikts verhandelt.

Bisher wollten viele türkische Nationalisten den Namen Öcalan nicht in den Mund nehmen. "Babymörder" und "Terroristenchef" sind gebräuchliche Umschreibungen für den PKK-Gründer. Nun ist der Unaussprechliche im Zentrum der Politik angekommen - dank seiner Nichte.

Es ist kein Geheimnis, dass Dilek Öcalan ihre HDP-Kandidatur und ihren sicheren Listenplatz im südosttürkischen Sanliurfa vor allem der Tatsache verdankt, dass sie die Tochter von Öcalans Schwester Fatma ist. Und so widmete die frisch gebackene Abgeordnete den Wahlerfolg ihrem Onkel: "Ich schenke diesen Sieg vor allem dem Anführer des kurdischen Volkes, Abdullah Öcalan, und unseren Märtyrern, die im Kampf für die Freiheit ihr Leben verloren", sagte sie nach der Parlamentswahl vom 7. Juni. Die "Märtyrer", die sie meint, sind aus Sicht der Nationalisten blutrünstige Terroristen, die das Land spalten wollen.

Vor allem im neuen Parlament und bei der Suche nach einer neuen Regierung spielt der Kurdenkonflikt eine wichtige Rolle: Weil die bisherige Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan bei der Wahl vom 7. Juni ihre Sitzmehrheit im Parlament verlor, muss eine Koalitionsregierung gebildet werden - aber die Nationalistenpartei MHP als Wunschpartnerin vieler AKP-Politiker fordert als Vorbedingung unter anderem ein Ende der Friedensgespräche mit Öcalan. Erdogan droht bereits mit raschen Neuwahlen, die er als Präsident anordnen kann, wenn sich die Parteien nicht innerhalb von 45 Tagen auf eine neue Regierung einigen. Einige AKP-Anhänger sind überzeugt, dass die Erdogan-Partei bei einer neuen Wahl im Herbst besser abschneiden würde als am 7. Juni und wieder allein regieren könnte.

(RP)
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