Sigmar Gabriel "Ökonomen sind manchmal Schwätzer"

Der SPD-Chef kritisiert Mindestlohn-Gegner scharf. Er empfiehlt ihnen eine Schicht mit dem Briefträger im Winter.

Wie bewerten Sie die Papstwahl? Wird Franziskus die Welt sozialer machen?

Gabriel Als evangelischer Christ freue ich mich erst mal mit und für die weltweite Gemeinde der Katholiken, dass es einen neuen Papst gibt. Ein Papst, der aus Lateinamerika kommt und dort als "Kardinal der Armen" bezeichnet wurde, ist ein gutes Zeichen.

Die SPD war bisher erfolgreich, wenn sie auf die Mitte gesetzt hat. Warum meinen Sie nun, dass Sie links der Mitte Erfolg haben könnten?

Gabriel Weil die Mitte heute wieder links ist. Die Menschen regen sich doch zu Recht darüber auf, dass Banken und Finanzmärkte mehr Einfluss haben als Parlamente und Regierungen. 70 Prozent der Menschen meinen, dass es in unserem Land sozial ungerecht zugeht. Die Zeiten, in denen das Credo der Neoliberalen "Ich, ich, ich" war, sind vorbei. Heute wird wieder über das "Wir" in unserer Gesellschaft nachgedacht: Wie wollen wir zusammenleben? Wie überwinden wir die sozialen Spaltungen? Darauf haben Sozialdemokraten moderne und glaubwürdige Antworten.

Warum schlägt sich der Ruf nach klassischer Sozialdemokratie in Ihren Umfragewerten nicht nieder?

Gabriel Ich schaue auf Wahlergebnisse. Und stelle fest: Unabhängig davon, wie die Umfragen vorher waren, ist bei den letzten zwölf Landtagswahlen immer die SPD an die Regierung gekommen. Vier CDU-Ministerpräsidenten haben ihr Amt verloren. Zwölf von 16 Landeshauptstädten werden von Sozialdemokraten regiert.

Was hält Sie davon ab, mit der Linkspartei zusammen zu regieren?

Gabriel Die Linkspartei ist nicht links.

Wie bitte?

Gabriel Links ist nach meinem Verständnis jemand, der an die Kraft des Arguments und der Aufklärung glaubt und nicht hohler Propaganda anhängt. Links ist, wer an die Emanzipationsfähigkeit des Menschen glaubt.

Sie schließen also jede Zusammenarbeit mit den Linken nach der Bundestagswahl aus?

Gabriel Ja. Das habe ich, seit ich SPD-Vorsitzender bin, immer wieder gesagt. Aber nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil Deutschland als wichtigstes Land in Europa eine stabile Regierungsmehrheit braucht. Und die kann man mit der in sich gespaltenen Linkspartei nicht bilden.

Hat Steinbrück so schlechte Umfragewerte, weil er sich für das Wahlprogramm verbiegen muss?

Gabriel Seien Sie mir bitte nicht böse, aber das ist eine Journalistenerfindung. Er hat das Programm doch in allen wesentlichen Teilen mitformuliert. Bereits im Jahr 2002 hat er als Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit mir in Niedersachsen den Antrag auf Wiedereinführung der Vermögensteuer gestellt. Peer Steinbrück steht für die Verbindung von wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Gerechtigkeit.

Viele Ökonomen warnen vor einem flächendeckenden Mindestlohn, weil er Hunderttausende Jobs kosten könnte. Ist das sozial gerecht?

Gabriel Das sind ja interessanterweise fast immer die gleichen Leute, die uns vor ein paar Jahren empfohlen haben, die Finanzmärkte zu deregulieren. Das sind doch keine Ökonomen, sondern Theologen. Sie verbreiten nicht volkswirtschaftliche Erkenntnisse, sondern Glaubenssätze. Und manchmal sind es auch einfach nur Schwätzer, die sich nicht vorstellen können, wie es ist, am Ende des Monats mit 700 Euro klarkommen zu sollen. Fast überall in Europa haben wir Mindestlöhne. In Deutschland werden vernünftig bezahlte Arbeitsplätze vernichtet, weil wir keine Mindestlöhne haben. Man kann doch keine Marktwirtschaft darauf aufbauen, dass der Staat die Löhne bei denen aufstockt, die nur Armutslöhne zahlen. Das vernichtet die Arbeitsplätze bei den Unternehmen, die faire Löhne zahlen. Für diesen Irrsinn zahlt der Steuerzahler jährlich sieben Milliarden Euro.

Wollen Sie den Sachverständigenrat abschaffen?

Gabriel Nein, sicher nicht. Aber Sachverständige, die ihre Gutachten an der Lebenswirklichkeit vorbei schreiben, brauchen wir nicht. Das sind Leute, die aus ihren warmen Stuben und mit hohen Gehältern und Pensionsansprüchen Schichtarbeitern in der Industrie, Pflegekräften oder Fliesenlegern die Rente mit 70 empfehlen. Offenbar leben diese Leute nicht selten so saturiert, dass sie vom normalen Arbeitsalltag und dem Leben der Mehrheit der Menschen in Deutschland weit entfernt sind. Wer der Politik Ratschläge gibt, darf keine Scheuklappen haben und muss das Leben kennen. Mal eine Schicht bei Briefträgern im Winter mitmachen oder mit einer Krankenschwester zur Arbeit gehen, das wäre vielleicht eine heilsame Konfrontation mit der Wirklichkeit.

Steht die SPD zum Abbau der Staatsschulden?

Gabriel Eindeutig. Wir schönen den Haushalt jedenfalls nicht dadurch, dass wir die Gesundheitskasse plündern, so wie Finanzminister Schäuble das macht. Wir wollen den Haushalt in Ordnung bringen. Wir wollen unter anderem überflüssige steuerliche Subventionen in Höhe von jährlich bis zu 15 Milliarden Euro abbauen – beispielsweise die steuerliche Förderung von spritschluckenden Geländewagen, die als Dienstwagen angemeldet sind.

Wollen Sie nach der Bundestagswahl auch Fraktionschef werden?

Gabriel Ich will Parteivorsitzender bleiben.

BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
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