Peking Offenheit hinter verschlossenen Türen

Peking · Mit seiner DDR-Erfahrung versteht Joachim Gauck das kommunistische System in China besser als andere. Der Bundespräsident sucht das Gespräch mit der chinesischen Führung, trifft sich aber auch mit Bürgerrechtlern.

Im Stechschritt, mit aufgepflanztem Bajonett marschiert die Ehrengarde vor der Großen Halle des Volkes auf. Vom Tiananmen-Platz, nur wenige Schritte entfernt, dröhnen Salutschüsse. Hier, wo 1989 in Peking die Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen wurde, bekommt das Zeremoniell zu Ehren Joachim Gaucks etwas Bedrückendes. Der Bundespräsident ist sich der Bedeutung dieses Ortes nur allzu bewusst.

Neben Staats- und Parteichef Xi Jinping nimmt der bekennende Antikommunist Gauck die Ehrengarde ab. Am Ende des roten Teppichs jubeln ihm hüpfende Kinder mit Plastikblumen, Fähnchen und "Willkommen in China"-Rufen zu. Vieles kommt Gauck bei seinem ersten Staatsbesuch in China bekannt vor. "Ich bin ein ehemaliger Bewohner des Ostblocks", sagt er.

Ähnlich wie Bundeskanzlerin Angela Merkel versteht Gauck mit seiner ostdeutschen Erfahrung fast intuitiv die politischen Verhältnisse in China. Wie er ist auch Präsident Xi Jinping vom Zusammenbruch der Sowjetunion geprägt, allerdings auf völlig gegensätzliche Weise. Für Gauck war es ein Glücksmoment, der ihm schließlich die Freiheit brachte und ihn zum Bundespräsidenten machte. Doch für Xi Jinping war das Ende der Sowjetunion eine Katastrophe, deren Wiederholung er in China mit allen Mitteln verhindern will. Nichts erklärt besser die verschärfte Verfolgung, die Kontrolle der Gesellschaft und das Einfordern bedingungsloser Loyalität.

Aber Gauck sieht auch: China ist ein Land in Bewegung, trotz der relativ schlechten Wachstumsraten mit ungeheurer Dynamik. Wie der exzessive Kapitalismus, die große Kluft zwischen Arm und Reich überhaupt ideologisch mit Marxismus gerechtfertigt werden können, interessiert Gauck brennend. Bei einem Besuch in der Parteihochschule löchert er die Ideologen mit kritischen Fragen, weist auf Widersprüche hin.

Gauck kann und will seine Werte in China nicht verstecken. Doch seine Äußerungen zu Beginn der Gespräche mit Xi Jinping dienen zunächst der Pflege der Beziehungen, dem Pflichtprogramm: Da ist von Gemeinsamkeiten und der "harmonischen Kooperation" die Rede. Gauck will seinen Einfluss nicht überschätzen und hofft zumindest, dass seine Gesprächspartner ihm zuhören. Vor allem hat sich Gauck vorgenommen, nicht aufzutreten wie Briten und Franzosen, bei deren Besuchen die Menschenrechte gar nicht mehr auf den Tisch kommen. Er will Konflikte ansprechen, wohl wissend, dass die Deutschen damit in Peking ernster genommen werden als jene, die sich anbiedern.

Am Abend traf Gauck mit Bürgerrechtsanwälten und Menschenrechtsaktivisten zusammen. Unter ihnen waren auch die renommierten Anwälte Mo Shaoping und Shang Baojun. Die Staatssicherheit hatte noch versucht, die Anwälte an der Teilnahme zu hindern, doch war ihnen dies nicht gelungen. Nach dem fast zweistündigen Gespräch sagte Shang Baojun: "Ich bin sehr beeindruckt vom Bundespräsidenten." Er habe ein volles Besuchsprogramm gehabt, aber sich am späten Abend noch "Zeit für die Menschenrechte in China genommen. Wir sind sehr gerührt".

Mit dem Treffen in der deutschen Botschaft entging der Bundespräsident nebenbei einem Brand, der in der Küche seines Hotels in Peking ausgebrochen war. Das Grand Hyatt musste wegen der Rauchentwicklung teilweise evakuiert werden.

(RP)
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