Analyse Ohne Freiwillige geht es nicht

Düsseldorf · Mehr als 100 000 Frauen und Männer opfern bei Feuerwehren und Hilfsorganisationen ihre Freizeit, damit NRW für den Katastrophenschutz gerüstet ist. Doch die Mitgliederwerbung und -mobilisierung wird immer schwieriger.

So traf das Unwetter Düsseldorf
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Foto: Susanne Hamann

Die offizielle Manöverkritik nach dem Orkan, der vor allem in Düsseldorf erhebliche Zerstörungen angerichtet hat, steht noch aus - aber sie wird wohl positiv ausfallen. Übereinstimmend lobten Experten gestern das effiziente und gut koordinierte Vorgehen der Helfer bei der Versorgung von Verletzten, bei der Gefahrenabwehr und den Aufräumarbeiten. 14 000 Feuerwehrleute und Mitglieder von Hilfsorganisationen waren und sind im Einsatz - ein großer Teil ehrenamtlich.

Doch kann sich die Politik auch in den nächsten Jahren auf diese starken Helfer verlassen? Ob Freiwillige Feuerwehren, Sanitätsdienste oder Technisches Hilfswerk (THW) - die Hilfs- und Rettungsorganisationen leiden deutschlandweit unter Mitgliederschwund. Und ihre Sorge wächst, die Aufgaben bald nicht mehr erfüllen zu können.

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Foto: Moritz Padberg

Traditionell besitzt die Bundesrepublik bei der Katastrophenhilfe nur wenige hauptamtliche Einsatzkräfte. Dafür gibt es 1,7 Millionen Freiwillige im Bevölkerungsschutz. In NRW engagieren sich rund 80 000 Menschen für die Freiwillige Feuerwehr, 20 000 bei Hilfsorganisationen wie dem Arbeiter-Samariter-Bund oder dem Roten Kreuz und 18 000 beim NRW-Landesverband des Technischen Hilfswerks. Auch aus Kostengründen sind die Feuerwehren in 365 der 396 NRW-Kommunen ehrenamtlich organisiert.

"Dieser Orkan hat erneut gezeigt, dass das Ehrenamt im deutschen Katastrophenschutz unverzichtbar ist", sagte gestern Verena Schäffer, die innenpolitische Sprecherin der Grünen im NRW-Landtag. Zugleich warnte sie: "Der demografische Wandel und verschärfte Anforderungen im beruflichen Alltag schwächen den ehrenamtlichen Katastrophenschutz. Wenn wir uns weiter darauf verlassen wollen, müssen wir gegensteuern." Für den 27. Juni laden die Landtagsgrünen deshalb sogar zu einem Katastrophenschutzkongress in den Landtag ein. Sie wollen die "Zukunft des Ehrenamtes in der Feuerwehr, beim THW und den Hilfsorganisationen" diskutieren.

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Foto: dpa, cas sab

Eine noch unveröffentlichte Studie des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz zitiert Schätzungen, die im Zeitraum 2006 bis 2025 von einem Rückgang der Freiwilligen im Rettungswesen und im Katastrophenschutz um ein Viertel ausgehen. Das Ende des zivilen Ersatzdienstes zum Beispiel trifft die deutschen Feuerwehren besonders hart: Sie verlieren Fachmedien zufolge pro Jahr etwa 10 000 freiwillige Brandschützer. Allein die Freiwilligen Feuerwehren in NRW sind innerhalb der vergangenen acht Jahre um 8000 Mitglieder geschrumpft. Das THW hat seit 2008 fast 3500 seiner damals mehr als 42 000 aktiven Helfer eingebüßt.

Neben dem Wegfall von Wehrpflicht und Zivildienst wird dafür vor allem der demografische Wandel verantwortlich gemacht: Die Menschen werden weniger und älter. Die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge der 50er Jahre nähern sich dem Rentenalter und brauchen bald selbst Betreuung. So werden die Leistungen der Blaulicht-Organisationen immer stärker nachgefragt, während die Aussetzung der Wehrpflicht ihnen die zwangsverpflichteten Helfer entzog, die dann oft aus Überzeugung als Freiwillige weiter mitmacht haben.

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Foto: Markus Huter

Es geht nicht nur um den Mitgliederschwund. Auch die Mobilisierung der vorhandenen Einsatzkräfte wird zunehmend schwierig. Ursache sind nachhaltige Verschiebungen im beruflichen Alltag: Vor 60 Jahren pendelten noch 25 Prozent der Deutschen zur Arbeit, heute arbeiten rund 60 Prozent nicht mehr an ihrem Wohnort. Auch die schnelle Verfügbarkeit von Studenten und Schülern ist stark geschrumpft: In Zeiten übervoller Studienpläne sind die Semesterferien längst kein Urlaub mehr. "Damit sinkt die schnelle Verfügbarkeit der Einsatzkräfte im Notfall", stellt Schäffer fest. Darauf müsse die Politik Antworten finden, wenn sie im Katastrophenfall weiter auf das Ehrenamt setzen will. Eine Alternative ist auch nicht in Sicht: Allein das DRK erbringt pro Jahr 30 Millionen unbezahlte Arbeitsstunden. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen leistete rund 1,7 Millionen Stunden in 2013 und rettete 84 Menschen vor dem Ertrinken. Das sind im doppelten Wortsinn unbezahlbare Leistungen.

Ist es heutzutage überhaupt noch chic, Feuer zu löschen? Die stabile Seitenlage bewusstloser Unfallopfer zu üben? Sandsäcke für den Deichschutz zu füllen? Nicht ohne zusätzliche Anreize. Für die die Ehrenamtler, aber auch für die Arbeitgeber. Die tun sich in Zeiten der modernen Arbeitsverdichtung ohnehin schwer damit, Mitarbeiter tagelang zum Beispiel für einen Hochwassereinsatz freizustellen.

Ein neulich breit diskutierter Vorschlag: Wer ehrenamtlichen Dienst für die Gemeinschaft leistet, soll um diese Zeit früher abschlagsfrei in Rente gehen dürfen. Diese Idee kam unlängst vom Reservistenverband der Bundeswehr, der ebenfalls ausschließlich auf Freiwillige setzt. Die Hilfsorganisationen unterstützen den Vorschlag. "Wir denken an eine Anrechnung der Einsätze bei Studien- und Lehrzeiten. Noch günstiger ist es, dieses Engagement von der Lebensarbeitszeit abzuziehen", sagt der Präsident des Verbandes, Roderich Kiesewetter. Seine Hoffnung: "Diese Aufwertung von Wehrübungen, THW- und Feuerwehrdienstleistungen wird verstärkt Menschen ins Ehrenamt bringen." Die Politik lehnt den Vorstoß noch ab. "Zu teuer", heißt es in Berlin.

Freude an der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten und das gute Gefühl, zu helfen - diese Motive funktionieren noch immer. Aber die Experten sind sich einig: Sie reichen nicht mehr, um den absehbaren Fachkräftemangel beim Katastrophenschutz aufzufangen. Innenpolitikerinnen wie Schäffer wollen deshalb jetzt gezielt Frauen und Migranten für die Hilfsorganisationen anwerben. Auch dafür soll der Düsseldorfer Katastrophenschutz-Kongress neue Ideen sammeln.

(RP)
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