Peking Onkel Xi ist supergut

Peking · Der Personenkult um Chinas kommunistischen Staatschef erreicht ungeahnte Dimensionen. Formal ist Xi Jinping mächtiger als Mao.

Politische Witze über Willkürjustiz, die vormals in der Sowjetunion kursierten, tauchen nun in chinesischer Variante auch in der Volksrepublik auf. Der jüngste geht so: Beim Hofgang im Pekinger Prominentengefängnis Qincheng kommen drei Sträflinge ins Gespräch. Auf die Frage "Warum bist du hier?" antwortet der Erste: "Ich war ein Gegner von Zhou Yongkang." Sagt der Zweite: "Ich bin hier, weil ich ihn unterstützt habe." Der Dritte lacht bitter: "Ich bin Zhou Yongkang."

Nach der offiziellen Mitteilung, dass Zhou, einst Chef der Staatssicherheit und Mitglied des innersten Führungszirkels Chinas, wegen Korruption und Amtsmissbrauch parteiintern angeklagt wird, spotteten so Blogger Ende Juli über sein Schicksal. Ungezählte lobten online dagegen Parteichef Xi Jinping: Er löse sein nach Amtsantritt gegebenes Wort ein, bei der Bekämpfung der Korruption auch vor mächtigen Politikern nicht Halt zu machen. Viel Beifall gab es auf seiner Blog-Fanseite "Haohao Xuexi" ("Gut von Xi lernen"), auf der sich 2,6 Millionen sogenannte Fans registriert haben. Beispielsweise hieß es dort: "Onkel Xi ist supergut."

Manche Blogger hegen zwar Vorbehalte, die positiven Beiträge aber überwiegen. Selbst kritische Politologen nennen die Ermittlungen gegen Zhou einen "Meilenstein" oder eine "gute Sache". Solcher Zuspruch verfestigt den um den neuen starken Mann entstehenden Personenkult. Der sich jovial und volkstümlich gebende Xi tut alles dafür, um ihn in Gang zu bringen. Er benutzt dafür auch seine Familie: Zur Erinnerung an seinen Vater, den Revolutionsveteranen Xi Zhongxun, wurden Briefmarken gedruckt. Seine Frau, die Sängerin Peng Liyuan, wird als neue First Lady gefeiert.

Forcierte Propaganda- und Medienpräsenz

Dennoch ist es ein neuartiger Personenkult unter den Bedingungen der Internet-Ära. Er hat nur äußerliche Gemeinsamkeiten mit der pseudoreligiösen Verehrung Mao Tsetungs — vor 40 Jahren war China abgeschottet von der Außenwelt. Mao ließ sich als "Großer Vorsitzender", "Steuermann" und "Rote Sonne" huldigen, obwohl er mit seinen Utopie- und Klassenkampf-Kampagnen den Tod Dutzender Millionen Chinesen direkt verschuldete.

Eine Studie des Medienforschers Qian Gang von der Universität Hongkong kommt zu dem Schluss, dass Xi seinen langen Marsch zum dominierenden politischen Akteur durch forcierte Propaganda- und Medienpräsenz bewerkstelligt hat. Dazu gehört die Verbreitung seiner Vorstellungen, etwa der des "chinesischen Traums vom Wiederentstehen einer großen Nation". Die Forscher untersuchten, wie oft alle acht Parteiführer seit 1949 auf der Titelseite oder im ersten Buch des wichtigsten Parteiorgans "Renmin Ribao" (der "Volkszeitung") erwähnt wurden.

Als Vergleichszeitraum werteten sie die ersten 18 Monate nach Amtsantritt aus. Für Mao wurde die Zeit ab 1969 gewählt, als er auf dem Zenit seiner Macht stand. Xi kommt mit 4725 Erwähnungen auf Platz zwei hinter Mao (fast 7000), weit vor allen seinen Vorgängern. Auch mit 1311 Namensnennungen auf der Titelseite ist er heute fast so präsent, wie es einst Mao war (1411). Die Leser des Parteiblatts müssen glauben, dass alles, was in den vergangenen 18 Monaten in China passierte, mit Xi zu tun hat.

Sammler von Spitzenämtern

Der Mann ist auf allen Kanälen präsent. In den halbstündigen 19-Uhr-Nachrichten des Staatsfernsehens bestimmen Xis Reden, seine Auslandsreisen oder Inspektionstouren im Inland oft die Hälfte des Programms. In Parteibuchläden liegen mehr als 50 Bände und Materialien von oder über Xi aus, die Mitglieder in Schulungen und Selbstkritik-Sitzungen lesen müssen.

Xi hat seiner Omnipräsenz in den Medien durch Ämterhäufung nachgeholfen. Seit seiner Wahl zum Partei- und Armeechef durch den Parteitag im November 2012 und seiner Wahl zum Staatspräsidenten und staatlich bestätigten Oberbefehlshaber der Truppen durch den Volkskongress im März 2013 hat er sich fünf weitere Spitzenpositionen verschafft. So leitet er die allen Ministerien übergeordnete "Gruppe für umfassende Reformen", den neu geschaffenen Nationalen Sicherheitsrat, die "Gruppe für Internet- und Informationssicherheit", die "Gruppe für Landesverteidigung und Armeereform" und die "Gruppe für Finanzen und Wirtschaft".

Damit sitzt er an allen Schaltstellen der Macht. Hinzu kommt, dass sich Xi mit einem ausgewählten Kreis hochrangiger Berater wie dem Politbüromitglied und Redenschreiber Wang Huning oder Büroleiter Li Zhanshu umgibt, die den traditionellen Begleitern eines Partei- und Staatschefs vorgesetzt sind und ihn auch auf seinen Auslandsreisen begleiten.

Es gibt keine offene Debatte

Pekings Jugendzeitung zeigte in einer Karikatur im Juni einen lächelnden Xi vor der Machtfülle seiner neun Ämter, die er in Personalunion vertritt. Formal ist er mächtiger als Mao oder der große Reformer Deng Xiaoping. Die herrschten aber mit so viel Autorität, dass sie zusätzliche Ämter gar nicht brauchten. Mao war "Chinas Vorsitzender" auf Lebenszeit. Deng, der die unbegrenzte Amtsführung für alle Parteivorsitzenden nach ihm abschaffen ließ und Ende 1989 demonstrativ selbst in Pension ging, bestimmte trotzdem bis zu seinem Tod Chinas Geschicke. Offiziell war er da nur noch Ehrenvorsitzender des chinesischen Bridge-Vereins.

Die kritische Öffentlichkeit ist gespalten, ob sie Xis derzeitige Machtkonzentration als Chance oder als Gefahr ansehen soll. Eine offene Debatte wird darüber nicht geführt. Bekannte Wirtschaftsreformer hoffen, dass Xi seine Macht nutzt, um von oben neue Strukturen gegen den Widerstand von Monopolunternehmen und Interessengruppen durchzusetzen. Verbreitet ist die Meinung, dass die grassierende Korruption mit harter Hand beseitigt werden muss, bevor sich der Boden für rechtstaatliche Verhältnisse bereiten lässt. Machtkonzentration sei "vielleicht notwendig, um den Widerstand mächtiger reformfeindlicher Interessengruppen zu brechen", sagt etwa der Pekinger Sozialforscher Hu Xingdou.

(RP)
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