Bielefeld Oppositionsführer der Herzen

Bielefeld · Die NRW-FDP bestätigt Parteichef Christian Lindner fast einstimmig. Ist der Liberale die eigentliche Opposition in NRW?

Bei einem Landesparteitag der FDP denkt man nicht unbedingt an die CDU. Es sei denn, man war am vergangenen Wochenende in Bielefeld und stellte sich die Frage, wer eigentlich der Oppositionsführer in NRW ist. Natürlich CDU-Frontmann Armin Laschet, der in der jüngsten Westpol-Umfrage auf 33 Prozent kam. Das ist immer noch fast fünfmal mehr, als Amtskollege Christian Lindner mit seiner FDP in NRW hinter sich hat.

Trotzdem schleicht sich inzwischen ein "ja, aber" in die Frage nach der Oppositionsführerschaft in NRW ein - und nach dem FDP-Landesparteitag ist dieses "ja, aber" nochmals lauter geworden. Aus einer Reihe von Gründen: Rückhalt Christian Lindner wurde mit 98 Prozent beinahe einstimmig als Landes-Chef wiedergewählt. Laschet holte bei seiner jüngsten Wiederwahl 87 Prozent. Momentaufnahmen. Aber sie spiegeln doch die unterschiedliche Rolle, die beide Chefs in ihrer jeweiligen Partei belegen. Obwohl Laschet zuletzt deutlich schärfer in seiner Argumentation und auch stärker in seinen Auftritten geworden ist, muss er immer noch eine große Gruppe von Zweiflern in der eigenen Fraktion überzeugen. Lindner hingegen wird von seiner Partei auf Händen getragen, obwohl er angekündigt hat, nach dem wahrscheinlichen Wiedereinzug der FDP in den Bundestag 2017 von Düsseldorf nach Berlin zu wechseln. Bei anderen Politikern würde schon ein solches Gerücht zum sofortigen Zerwürfnis mit der Landespartei führen. Lindner kann sich das leisten. Positionierung Natürlich geißelt auch Laschet die rot-grüne Landesregierung, wo er nur kann. Aber mit angezogener Handbremse. Das liegt nicht an mangelndem Vermögen: Laschet kann ein extrem treffsicherer und scharfzüngiger Rhetoriker sein, wenn er denn will. Seine fein ausbalancierte Rest-Zurückhaltung ist Strategie: Er schreckt in der Auseinandersetzung mit NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) vor der Eskalation zurück, weil er sich 2017 die Hintertür der großen Koalition offenhalten will. Deswegen versagt er sich Rücktrittsforderungen selbst gegen NRW-Innenminister Ralf Jäger, der wegen der Einbruchsrekorde in NRW und der Kölner Silvesternacht mehr als jeder andere NRW-Minister strauchelt. Und deshalb machte Laschet der NRW-SPD jüngst sogar Kooperationsangebote bei der NRW-Industriepolitik, anstatt wegen Nordrhein-Westfalens Negativrekord den Wirtschaftsminister anzugreifen. Lindner hingegen ist so glasklar auf Oppositionskurs, dass er diese Rolle ausdrücklich auch über 2017 hinaus akzeptiert. Mit einer rot-gelb-grünen Ampel schloss er am Wochenende in Bielefeld eine bis dahin gar nicht so unwahrscheinliche Regierungsoption für die NRW-FDP aus: "Wir werden Rot-Grün nicht verlängern. Unser Ziel ist die Ablösung von Rot-Grün. Nach sieben Jahren Stillstand braucht NRW 2017 einen Wechsel." Auch die Zeit der Leihstimmen-Kampagnen sei für die FDP "ein für allemal vorbei", so Lindner. "Die FDP ist eine Gestaltungspartei. Wenn jemand eine andere Lieblingspartei hat als die FDP, soll er die wählen." Trend Unter Lindner, der auch Bundeschef der FDP ist, haben die Liberalen ein Comeback geschafft. Nach ihrem Aus im Bundestag waren sie Ende 2014 erstmals auch an keiner Landesregierung mehr beteiligt. Achtungserfolgen in Hamburg und Bremen folgten im März 2016 Zugewinne in drei weiteren Bundesländern. An ihrem Wiedereinzug in den Bundestag 2017 zweifelt niemand mehr. Der Trend der CDU zeigt nach unten. Bei den jüngsten Landtagswahlen im März verlor sie in drei Bundesländern jeweils zwischen 2,7 und zwölf Prozent. Programm Anders als Laschet, der auf Bundesebene auch Vize von CDU-Chefin Angela Merkel ist, fällt es Lindner leicht, sich von der unbeliebten Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zu distanzieren. In Bielefeld forderte er das Ende von Merkels "grenzenloser Aufnahmebereitschaft", ohne sich dabei in die Gefahr rechtspopulistischer Lösungsversprechen zu begeben. Sein Ansatz: ein Einwanderungsgesetz, wie es die FDP schon seit 1997 fordert. Lindner: "Wann, wenn nicht jetzt, wollen wir unseren Status als Einwanderungsland endlich akzeptieren?" Sein Ziel: Kriegsflüchtlingen Zuflucht gewähren, aber über ein Einwanderungsgesetz klarstellen, dass sie nur vorübergehend in Deutschland bleiben dürfen. Auch für die Erbschaftsteuer, mit deren Reform sich die Bundesregierung schwertut, hat er einen Vorschlag: Der Steuersatz soll für alle privaten und betrieblichen Übertragungsvorgänge unabhängig von der Vermögensart oder der Höhe von Erbe oder Schenkung einheitlich als Flat Tax von etwa zehn Prozent festgelegt werden.

(RP)
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