Valencia Gepflückt wird nur noch auf Bestellung

Valencia · Bei Valencia haben zwei Brüder die brachliegende Orangenplantage ihres Großvaters in ein innovatives Farm-Projekt verwandelt.

Bis oben hin stapeln sich die Kartons auf der Ladefläche des großen Lastwagens. Gonzalo Úrculo fährt mit den Fingern über die Adresskleber. Mit spanischem Akzent liest er die Destinationen vor. Frankfurt am Main, Speyer, Berlin und Hamburg sowie kleinere Orte am Niederrhein, in Niedersachsen, an der Donau oder in Thüringen. 1400 Kartons frische Orangen, gestern vom Baum gepflückt, heute versandt und übermorgen beim Verbraucher in Deutschland.

Ein Lager gibt es bei Naranjas El Carmen nicht, nur eine kleine Halle für Qualitätskontrolle, Verpackung und Versand. Das Team auf der Plantage nordwestlich der Stadt Valencia erntet ausschließlich auf Bestellung. "Frischer geht es nicht", erklärt Gonzalo Úrculo. Die meisten Orangen im Handel würden wegen komplizierter Vertriebsstrukturen lange gelagert und seien zum Teil erst einen Monat nach der Ernte im Laden. Noch wichtiger aber ist dem 31-Jährigen: "Durch den Direktvertrieb verderben keine Orangen im Lager, beim Großhändler oder im Supermarkt."

Das Konzept kommt gut an. Wer hätte das gedacht vor sieben Jahren, als die beiden Brüder die Plantage ihres verstorbenen Großvaters übernahmen. Seit zehn Jahren hatte diese brach gelegen. "Hier war alles tot, ich freue mich jeden Tag von neuem daran, dass wir die Plantage wieder belebt haben." Gonzalo Úrculo zeigt über ein Feld. Aus der frisch aufgewühlten Erde ragen die Stümpfe alter Orangenbäume. Nach 25 Jahren trägt ein Baum nicht mehr. Jetzt werden hier nach dem Roden neue gepflanzt.

Eigentlich wollte der Vater der beiden Brüder die Plantage verkaufen. "Gib uns ein Jahr, haben wir damals zu ihm gesagt." Die Geschwister stellten alles auf den Kopf - und die Plantage auf biologische Landwirtschaft um. Anstatt wie die meisten anderen Plantagen an Großhändler zu verkaufen, bauten sie einen europaweiten Direktvertrieb bis ins Haus der Verbraucher auf. Einfach war das nicht. "Die ersten drei Jahre waren ein Desaster", erinnert sich Gonzalo Úrculo. Die beiden verkauften ein bis zwei Kartons Orangen pro Tag, meist an Verwandte und Freunde. Sie verloren Geld. Die Banken gaben keinen Kredit. "Wir hatten sehr viel Orangensaft damals." Gonzalo Úrculo lacht. Nach zwei Jahren hatten die Brüder eine Logistik aufgebaut, um in ganz Europa direkt liefern zu können. Es gab die ersten Tage, an denen sie 40 bis 50 Kartons verschickten. Trotz aller Schwierigkeiten waren sie von Anfang an von dem Konzept überzeugt. "Erst in diesem Jahr aber läuft es wirklich gut."

Das liegt an der zweiten guten Idee der Brüder. Seit eineinhalb Jahren verkaufen sie Baumpatenschaften. Für 80 Euro pflanzen sie einen Baum. Dieser gehört für 25 Jahre dem Käufer. Die Pflege des Baumes kostet ihn 60 Euro pro Jahr. Dafür stehen dem Baumbesitzer 80 Kilogramm Orangen zu, dem durchschnittlichen Ertrag eines Baumes ab dem fünften Lebensjahr. Für rund 90 Euro erntet das Team von Naranjas El Carmen diese Orangen und schickt sie zu ihrem Eigentümer, möglich sind auch Teilmengen. Manche Baumbesitzer kommen zum Ernten selbst vorbei und nehmen die Orangen mit.

Im letzten Jahr wurden auf der Plantage 1500 solcher Bäume gepflanzt. In diesem Jahr sind 3500 bestellt, die alle im Frühsommer in die Erde kommen sollen. Aus Kunden werden so Partner. Dieses "Crowdfarming" - den Begriff haben die Brüder sich schützen lassen - bringt der Plantage nicht nur finanzielle Planungssicherheit. "Wir können so viel besser abschätzen, wie viel wir pflanzen und produzieren können, ohne auf Überschüssen sitzen zu bleiben." Dank dieses organischen Wachstums konnte das Unternehmen innerhalb nur eines Jahres die Zahl seiner Mitarbeiter von acht auf 25 erhöhen.

Gonzalo Úrculo geht durch die langen Reihen neu gepflanzter Bäume. An jedem hängt ein Holzplättchen. Auf das kann sich der Besitzer seinen Namen oder etwas anderes fräsen lassen. Auf sehr vielen stehen Namen wie Fritzle, Emma oder Benjamin. Deutschland ist der wichtigste Markt für Naranjas El Carmen, bei weitem aber nicht der einzige. Viel liefert der Betrieb auch nach Frankreich, in die Niederlande und in die Schweiz.

Gonzalo Úrculo hat unter anderem in Berlin Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Logistik studiert. Der Trend zur bewussten Ernährung und das steigende Interesse an der Herkunft von Lebensmitteln dürfte ihm dort nicht entgangen sein. Sein zwei Jahre älterer Bruder hat seinen Master in Industriedesign und Architektur in Madrid erworben. Er ist für die Werbung, die Social Media Strategie und das Design zuständig.

Die Karriereaussichten für beide waren im krisengeschüttelten Spanien nicht gerade rosig, als sie die Plantage übernahmen. Das sind die Bedingungen für Orangenbauern in der Region Valencia allerdings auch nicht. Einst war der Zitrusfrüchteanbau hier so bedeutend, dass Valencia sogar einer großen Saftmarke in Deutschland zu ihrem Namen verhalf. Seit einigen Jahren kommen Zitrusfrüchte jedoch günstiger aus Marokko, Brasilien oder der Türkei. Der spanische Bauernverband AVA schätzt die Herstellungskosten in Spanien für ein Kilo auf zwanzig Cent. Die Bauern hätten aber in der vergangenen Saison nur noch um die 17 Cent bekommen. Hinzu kommen Probleme mit ausbleibenden Regenfällen und Schädlingsbefall. Jedes Jahr gehen von den einst fast 190.000 Hektar Anbaufläche für Zitrusfrüchte in der Region mehrere Tausend verloren. Früchte verfaulen auf dem Boden. Bäume vertrocknen. Andere Flächen werden mit der Trendfrucht Kaki bepflanzt.

Trotzdem setzen die meist kleinen, familiär geführten Anbaubetriebe in Spanien weiterhin überwiegend auf Masse statt Klasse. Um hohe Erträge pro Hektar zu erzielen, pflanzen sie die immergrünen Bäume eng zusammen. Andere Pflanzen und Schädlinge werden mit Pestiziden und Herbiziden aus den Plantagen gehalten. Die Anpflanzungen sehen entsprechend öde und karg aus, zumal sie meist in größeren, zusammenhängenden Monokulturen angebaut werden.

Wie anders geht es auf der 25 Hektar großen Plantage von Naranjas El Carmen zu. Mit 400 Bäumen wächst hier ein gutes Drittel weniger pro Hektar als im konventionellen Anbau. Durch den Verzicht auf chemischen Dünger trägt der einzelne Baum zudem fast nur halb so viel. Das alles bedeutet deutlich weniger Ertrag. Durch die breiteren Abstände aber bekommen die Früchte viel Sonne und bilden mehr Zucker und Aromen aus. Ein Biosiegel tragen die Früchte jedoch nicht. "Wir setzen auf Transparenz, die Menschen können jederzeit vorbeikommen und sich von unserem Konzept überzeugen", sagt Gonzalo Úrculo.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort