Budapest Orbán kämpft gegen die "Brüsseler Reichsbürokratie"

Budapest · Ungarns Premier nutzt die Flüchtlingspolitik zur Großoffensive. Am 2. Oktober stimmt sein Land über eine Verteilungsquote ab.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat mit seinem Vorstoß von Montag, Ungarn aus der EU zu werfen, viel Staub aufgewirbelt. Mittlerweile hat sich der Dunst ein wenig gelegt und den Blick auf die schwierige Wirklichkeit freigegeben. Zu sehen ist ein Land, das 1989 den Eisernen Vorhang für flüchtende DDR-Bürger öffnete, nun aber Schutzzäune gegen Asylsuchende errichtet. Migration sei "ein Gift", sagt der rechtsnationale ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und fügt hinzu: "Jeder Einzelne, der kommt, stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar."

Asselborn gestand gestern ein, seinem Unmut über die "propagandistische Hysterie in Ungarn" mit einem allzu "plumpen Aufschrei" Luft gemacht zu haben. An seiner Kritik hält er aber fest: "Wir dürfen in Wertefragen nicht gleichgültig bleiben, sonst wird die Idee dieses großartigen Projekts EU ersticken." Hintergrund der Attacken ist ein Referendum über die EU-Flüchtlingspolitik, das Orbán am 2. Oktober abhalten lässt. Die Frage an die Bürger lautet: "Wollen Sie, dass die EU Ungarn ohne Zustimmung des Parlaments eine Ansiedlung nicht-ungarischer Staatsbürger verpflichtend vorschreiben kann?"

Nominell geht es dabei um den EU-Quotenbeschluss vom September 2015. Damals hatten die Innenminister der Union per Mehrheitsentscheid festgelegt, 160.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland auf alle Mitgliedstaaten zu verteilen. Die Slowakei und Ungarn, die jeweils 2300 Menschen aufnehmen sollen, reichten daraufhin Klage beim Europäischen Gerichtshof ein. Begründung: Die Parlamente würden übergangen. Juristisch steht der Protest der Osteuropäer auf wackeligen Füßen. Die EU-Verträge verlangen in der Migrationspolitik keine Einstimmigkeit.

Daran würde auch eine Volksabstimmung nichts ändern, selbst wenn eine große Mehrheit für Orbáns Position votieren würde, wie jüngste Umfragen signalisieren. Das Referendum hat also keine juristische, wohl aber eine eminent politische Bedeutung. Das ist auch der Grund dafür, dass die ungarische Regierung die Stimmung immer weiter anheizt. In einer groß angelegten Kampagne fragt sie die Bürger auf Plakaten: "Wussten Sie, dass die Terroristen von Paris Einwanderer waren?" Staatsmedien warnen vor einer "Migrantenflut", die Europa zu überschwemmen drohe.

Orbán hält Ungarn für das letzte Bollwerk des christlichen Abendlandes gegen eine "muslimische Invasion" und feiert den Triumph der eigenen Grenzsicherung über die "Brüsseler Reichsbürokratie" - ein Begriff, den Asselborn besonders unerträglich findet.

(RP)
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