Ungarn Orbáns Anti-EU-Kurs wird für Christdemokraten zur Belastung

Brüssel · Im Europaparlament sitzen die Gefolgsleute des ungarischen Premiers in der gleichen Fraktion mit Abgeordneten von CDU und CSU.

Viktor Orban im Porträt
12 Bilder

Das ist Viktor Orban

12 Bilder
Foto: AP/Petr David Josek

"Stoppt Brüssel" steht auf einem Schreiben, das Anfang April an alle ungarischen Haushalte verschickt wurde. Ein Fragebogen, unterzeichnet von Premier Viktor Orbán, soll von den Bürgern ausgefüllt und bis zum 20. Mai zurückgeschickt werden. In plump-populistischem Ton werden sechs Fragen gestellt. Die sechste Frage geht so: "Ungarn ist gewillt, weiter die Steuern zu senken." Die EU greife Ungarn deswegen an. "Was soll Ungarn tun?" Der Bürger hat die Wahl zwischen: "Ungarn sollte darauf bestehen, Steuern senken zu dürfen." Oder: "Wir sollten akzeptieren, dass Brüssel die Höhe der Steuern diktiert." Orbán schürt mit dem Schreiben nicht nur Stimmung gegen die EU, er hantiert auch mit der Unwahrheit: Steuerpolitik ist Sache der Mitgliedstaaten.

Das Anti-EU-Pamphlet ist kein Einzelfall. Die Regierung in Budapest hat zuletzt große Empörung mit einem Gesetz ausgelöst, mit dem Orbán einer ihm missliebigen Universität den Garaus machen will. Die Central European University, die von US-Investor George Soros vor 25 Jahren gegründet wurde und überaus renommiert ist, wird als Folge wohl schließen müssen. Hintergrund: Orbán hat mit Soros eine Privatfehde und hat den Investor mit ungarischen Wurzeln zur unerwünschten Person erklärt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fand bei seiner Rede im Straßburger Europaparlament deutliche Worte gegen das Vorgehen Orbáns: Es dürfe Europa nicht egal sein, wenn "der Zivilgesellschaft, selbst der Wissenschaft die Luft zum Atmen genommen werden soll".

Die Partei des Rechtspopulisten Orbán, Fidesz, gehört im Europaparlament zur größten Fraktion, der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die deutschen Abgeordneten von CDU und CSU angehören. Nur ein EVP-Parlamentarier blieb nach der Steinmeier-Rede sitzen und verweigerte den Applaus: Jozsef Szajer von Orbáns Fidesz-Partei. Szajer führt die ungarische Gruppe in der EVP an und verkörpert das Dilemma von EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU): In seiner Truppe gibt es etliche Abgeordnete, die Orbán nahestehen.

Orbán und die Fidesz sind längst eine Belastung für die Partei der europäischen Christdemokraten geworden. Es beschädigt ihre Glaubwürdigkeit, den Anti-Europa-Politiker in den eigenen Reihen zu haben. Als die EVP jüngst auf Malta zusammenkam, sorgte die Regie dafür, dass die Auftritte von Orbán und Angela Merkel weit auseinander lagen. Ein SPD-Abgeordneter spottete: "Orbán hat bei der EVP die Rolle des betrunkenen Onkels, der notorisch die Familienfeste stört."

Etliche Christdemokraten hoffen schon lange, dass EVP-Chef Joseph Daul mit anderen mächtigen EVP-Politikern wie Merkel, Ratspräsident Donald Tusk und dem Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, erkennt, dass Orbán ihnen mehr schadet als nützt. Doch bislang deutet nichts auf einen Fidesz-Rauswurf hin. Deren Abgeordnete werden also im Europaparlament wohl vorerst weiter inmitten entschiedener Pro-Europäer sitzen.

Alexander Graf Lambsdorff (FDP) kritisierte die "träge Passivität" in Berlin und in der EVP als skandalös. Er forderte, Deutschland solle sich in Brüssel für ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn starkmachen. Mit einem Rechtsstaatsverfahren kann die EU-Kommission darauf reagieren, wenn sie in einem Mitgliedsland schwerwiegende Verletzungen der EU-Grundwerte feststellt. Die Regularien sehen vor, dass schlimmstenfalls einem EU-Land die Stimmrechte entzogen werden können.

Allerdings wird der EU gerade vorgeführt, wie frustrierend solch ein Verfahren sein kann. Im Fall Polens hat sie nämlich eines eingeleitet, das sich aber politisch festgefahren hat und sich im Austausch diplomatischer Noten erschöpft. Daher gibt es in Brüssel keine Neigung, sich noch ein zweites Verfahren mit Ungarn aufzubürden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort