Paris Paris und Berlin streiten um Deutsch-Unterricht

Paris · Außenminister Steinmeier schreibt wegen der Schulreform im Nachbarland einen besorgten Brief an seinen französischen Kollegen.

"Man muss schon mal ein Kurzreferat über Bismarck auf Deutsch halten", sagt Constantin. Das Programm in seiner Europaklasse ist anspruchsvoll: Zusätzlich zum normalen Sprachunterricht hat der 17-Jährige in seiner Schule in Versailles zwei Stunden Geschichte und Gemeinschaftskunde auf Deutsch. "Das bringt total viel für die Sprache", sagt der Schüler, der nächstes Jahr Abitur macht. Er könnte einer der Letzten sein, die noch den Vermerk "section européenne" auf seinem Zeugnis haben, denn die französische Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem will diese sprachintensiven Zweige nun im Zuge der Reform der Mittelschule abschaffen - zusammen mit den beliebten zweisprachigen Klassen. Im Huckepack-Verfahren können da die Schüler ab der sechsten Klasse neben Englisch drei Stunden pro Woche eine andere Sprache lernen. Viele Kinder entscheiden sich für Deutsch, so dass es im Schuljahr 2013/2014 immerhin 3580 solcher Klassen mit 87 000 Schülern gab.

"Das hat das Deutsche in Frankreich gerettet", sagt der Leiter des Pariser Goethe-Instituts, Joachim Umlauf, zur Einführung der "classes bilangues"; seit 2005 ist die Zahl der Deutschschüler bei 15 Prozent stabil. Ohne das attraktive Doppelangebot mit Englisch sieht Umlauf eine große Gefahr: "Das ist das Ende der privilegierten deutsch-französischen Beziehungen im Sprachbereich."

Deutschland und Frankreich sind nicht einfach Nachbarländer. Die einstigen Erzfeinde hatten 1963 mit dem Elysée-Vertrag den Weg für besondere Beziehungen geebnet, die sich in Organisationen wie dem deutsch-französischen Jugendwerk und der deutsch-französischen Hochschule niederschlagen. Der Förderung des Sprachunterrichts hatten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle damals einen eigenen Abschnitt gewidmet.

"Wir sehen in der geplanten Reform die Gefahr einer atmosphärischen Beeinträchtigung unserer bilateralen Abkommen und Absprachen", warnt die deutsche Botschafterin in Paris, Susanne Wasum-Rainer, nach einem Gespräch mit Vallaud-Belkacem ungewöhnlich deutlich.Auf das Doppelabitur Abi-Bac könnte die Reform sich ebenso negativ auswirken wie auf Städtepartnerschaften und den Schüleraustausch.

"Die Sorgen auf deutscher Seite sind gerechtfertigt", sagt die Vizepräsidentin der Vereinigung zur Förderung des Deutschunterrichts in Frankreich, Katrin Goldmann. Mehr als 30 000 Unterschriften hat ihre Organisation schon mit der Petition gegen die Abschaffung der "classes bilangues" in der von der sechsten bis zur neunten Klasse dauernden Mittelschule gesammelt. Prominente Unterstützung bekommen die Lehrer aus Deutschland: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte sich in einem Brief an seinen französischen Kollegen Laurent Fabius besorgt über die Zukunft der "tief verwurzelten deutsch-französischen Beziehungen".

In Frankreich unterzeichneten 59 Abgeordnete mehrerer Parteien eine Aufforderung an die Ministerin, die zweisprachigen Klassen beizubehalten. "Warum eine Maßnahme abschaffen, die sich überall bewährt hat: im ländlichen und städtischen Raum und sogar in den Gebieten mit besonderem Erziehungsbedarf", fragen die Parlamentarier, darunter der frühere sozialistische Regierungschef Jean-Marc Ayrault. Ihr Hinweis auf die breite Streuung der Sprachenklassen kommt nicht von ungefähr, denn die Ministerin sieht im bisherigen System die Chancengleichheit verletzt: Das als elitär geltende Deutsch werde in den zweisprachigen Klassen vor allem von Kindern reicher Eltern gewählt, während in den Problemvierteln und auf dem Land kaum einer davon profitiere, lautet ihre Begründung. Nach den Plänen von Vallaud-Belkacem sollen künftig alle Kinder ab der siebten Klasse Deutsch als zweite Fremdsprache lernen können. Als "normale" zweite Fremdsprache dürfte sich Deutsch aber kaum gegen das als einfacher empfundene Spanisch durchsetzen. Als erste Fremdsprache hat Deutsch ohnehin keine Chance, denn mehr als 90 Prozent der jungen Franzosen lernen Englisch. Wer trotzdem möchte, dass sein Kind Deutsch spricht, dürfte es künftig in einer Privatschule anmelden.

"Wir brauchen junge Leute, die Deutsch sprechen", wirbt Botschafterin Wasum-Rainer im "Figaro" für den Deutschunterricht. "Unser Land erlebt einen Bevölkerungsschwund, wir haben Arbeitsplätze anzubieten." Ein Argument, das eigentlich in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit in Frankreich ziehen müsste.

(RP)
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