Kiel Philosoph, Poet, Politiker

Kiel · Schleswig-Holsteins Agrarminister Robert Habeck will die Grünen 2017 in die Bundestagswahl führen. Eine Begegnung an der Ostseeküste.

Wenn man dem Kieler Agrar-, Umwelt- und Energiewendeminister Robert Habeck begegnet, denkt man bald: Endlich mal kein Jurist, kein Betriebswirt. Voilà, ein Philosoph! Habeck ist unterwegs an der Lübecker Bucht, die Hansestadt ist in Sichtweite. Da drängt sich die Frage auf: Thomas oder Heinrich Mann, Herr Habeck? Der Minister, der ein wenig wie ein jüngerer Bruder von Campino wirkt und Spitzenkandidat der Grünen bei der Bundestagswahl 2017 werden will, druckst nicht rum: "Heinrich Mann? Nein, nur dessen ,Untertan' gelesen. Mit Thomas kann ich viel anfangen. Vor allem seine großen Novellen wie ,Tod in Venedig' und ,Mario und der Zauberer' habe ich mehr als nur gelesen, die haben mich beeinflusst. Sie wissen ja, was ich vorher gemacht habe."

Bevor sich Habeck für Politik als Beruf entschied, verdiente er sein Geld als Schriftsteller: 2001 veröffentlichte er seinen ersten Roman, danach weitere belletristische Werke sowie Kinder- und Jugendbücher. Habeck hatte stets eine Co-Autorin: Andrea Paluch, seine schreibende, gelegentlich auch singende Ehefrau, die sich auf englische Literatur versteht. Da denkt man unweigerlich: Habeck ist also ein echter Grüner, denkt an die Frauenquote sogar beim Dichten. Der strubbelige Typ mit der Ausstrahlung eines vorwiegend heiteren Uni-Assistenten entgegnet: "Klar bin ich für die Frauenquote. Dass ich die meisten Bücher zusammen mit meiner Frau geschrieben habe, hatte damit aber nichts zu tun." Sondern? "Wir haben relativ früh Kinder gekriegt. Andrea und ich wollten Erziehung und Berufsalltag zusammenhalten und kein Wettrennen starten, wer erfolgreicher beim Bücherschreiben ist."

Habeck, der 1969 in der einzigen deutschen Stadt mit drei Nobelpreisträgern (Thomas Mann, Günter Grass, Willy Brandt) geboren wurde, und mit Ehefrau und vier Söhnen (18, 15 Jahre alte Zwillinge, 13) in Flensburg lebt, erzählt weiter aus seinem Leben: "Die politischen Sachen habe ich dann allein verfasst. Andrea hat keine Lust auf den politischen Kram." Mit "politische Sachen" sind die Bekenntnisse eines Politischen zur Heimat und zu einem linken Patriotismus gemeint. Sie haben Habeck den (falschen) Ruf eingebracht, er sei ein grüner Konservativer - ähnlich wie der Stuttgarter Oldie Winfried Kretschmann. Es ist wohl eher so: Der schlaue Menschenfischer Habeck, der bei den Grünen ganz nach oben strebt und dessen Rivalen noch in Deckung bleiben, will den Bürgerlich-Konservativen den Hochsitz mit dem Aufdruck "Heimat" und "Vaterland" streitig machen. Er ist ein Wilderer, persönlich unverkrampft-sympathisch, politisch mit allen Ost- und Nordseewassern gewaschen. Zum Thema "konservativ" dieses Bekenntnis: "Als ich Vater wurde, empfand ich einen ganz starken Ernährer- und Schützer-Impetus." Das bedeutete: Schluss mit der Dichter-Bohème: "Ich wollte meiner Familie ganz konservativ finanziell Sicherheit geben."

Erst mit 32 schloss er sich den Grünen an. Sein Aufstieg ging fix: Kreisvorsitz, Landespartei- und Fraktionschef in Kiel, Minister, Vize-Ministerpräsident. Aufsteiger-Stolz? Wenn ja, dann verbirgt ihn Habeck geschickt. Die Behörden-übliche Anrede "Herr Minister" kommt ihm komisch vor, die Minister-Etage in einem architektonischen Hochhaus-Elend könnte auch dem Asta der Uni Kiel dienen.

Habeck trägt bei der Reise hellbraune Wildleder-Schuhe, schwarze Jeans, einen schwarzen Pollunder, Dreitagebart. Er behauptet, von der Politik noch nicht desillusioniert worden zu sein. Sein Gefühl, etwas bewirken zu können, nehme mit der Amtszeit zu. Im Seebad Scharbeutz gibt er drei gicksenden Teenagern Autogramme. Er schreibt: "Für drei Badenixen aus Flensburg, Euer Robert." Sodann stellt sich der Minister für die Energiewende Netzausbau-Bedenkenträgern zum Dialog; und versprüht anschließend, Käseschnittchen mampfend, Optimismus: Es klinge paradox, aber man werde über mehr Bürgerbeteiligung zu schnelleren Beschlüssen für notwendige drei große Stromleitungen kommen. Da möchte man erwidern: Wer's glaubt, wird selig. Apropos, wie steht's mit Ihrem Glauben, Herr Habeck? "Ich bin konfirmiert worden, aber aus der Kirche ausgetreten. Aber dass der Mensch nicht allmächtig ist und es Sinn gibt, über den Tag hinaus, das weiß ich." So drücken sich Suchende aus, die religiös doch nicht so "religiös unmusikalisch" (Jürgen Habermas) sind.

Ob Habeck denkt, hier helfe nur beten, wenn ihm Bauern zornig vorwerfen, ihnen mit ökologisch begründeten Verordnungen Eigentumsrechte zu beschneiden? Er ist kein Wegducker: Der Nordmann mit Faible für Dänemark, der als sein Vorbild den tschechischen Dichter-Präsidenten Vaclav Havel angibt, scheint Gegenwind aushalten zu können. Ihn trägt ein ökologisches Wertekorsett, wobei er nicht bierernst daherkommt wie weiland der Oberlehrer Jürgen Trittin, das Dosenpfand auf zwei Beinen. Ein erfrischender Habeck-Satz zum Schluss: "Wir Grünen sind nicht die besseren Menschen. Neulich habe ich Dosenbier getrunken, und es war lecker."

(RP)
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