Analyse Piraten - eine Partei ohne Plan

Düsseldorf · Bei den jüngsten Landtagswahlen erlebte die Piratenpartei ein Fiasko. Sie wollte den Politikbetrieb ändern - wusste aber nicht wie. Viele der Parteimitglieder wollen keine Politiker sein, sondern Menschen, die Politik machen.

1,03 Prozent. Ein ernüchterndes Ergebnis für die Piraten in Thüringen. Bei der Landtagswahl in Brandenburg erreichte die Partei immerhin 1,5 Prozent. Allerdings betrug das Mindestwahlalter dort auch 16 statt 18 Jahre. Die Piraten gibt es noch - aber fast keiner will sie mehr wählen. Was bleibt von ihrem rasanten Aufstieg und ihrem ebenso dramatischen Absturz? Vor allem natürlich: sie selbst. Eine kleine Partei mit vier Landtagsfraktionen, die irgendwie weitermachen wird.

Vorbild der Piraten ist die schwedische Schwesterpartei, die aus dem Protest gegen die Abschaltung eines illegalen Download-Portals entstand. In Deutschland begann alles 2006. In der "C-Base" in Berlin, einem Untergrundclub mit Raumschiffambiente. Zuerst gab es nur Laptops und Kabelgewirr. Irgendwann dann auch eine Satzung. Mitglieder fanden sich sofort. Und die waren so unverschämt, einfache Fragen zu stellen: Wie wollen wir Politik machen? Wie wollen wir als Gesellschaft darüber reden? Wie wollen wir entscheiden, was gut für uns ist? Fünf Jahre später, im September 2011, begann der rasante Aufstieg der Piraten mit dem Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus.

Fortan saßen die überwiegend männlichen Mitglieder in Talkshows, fanden die Antworten der anderen irgendwie blöd, hatten selbst aber keine. 2013 wollten die Piraten dann in den Bundestag. Aber eine Position zur Eurokrise? Fehlanzeige. Zu Steuern, Wirtschaft, Generationengerechtigkeit? Nichts. Sozialpolitik? Das bedingungslose Grundeinkommen als Vorschlag, aber keine Idee, wie es finanziert werden soll. Dafür die Forderung, Drogen zu legalisieren. Handfeste Inhalte sehen anders aus.

Die Quittung kam prompt: Bei der Bundestagswahl scheiterten die Piraten mit 2,2 Prozent der Wählerstimmen klar an der Fünf-Prozent-Hürde, bei der Europawahl erreichten sie nur 1,4 Prozent. Die Zahl der Mitglieder ging auf rund 28 000 zurück. Die Partei selbst schätzt, dass nur noch rund 10 000 mit Überzeugung dabei sind.

Auch, weil die Selbstzerfleischung der Piraten beispiellos ist: Parteimitglieder stritten sich öffentlich um Vorwürfe zur Vetternwirtschaft, sorgten mit Datenschutzverstößen für Empörung (NRW), wollten sich abspalten (Berlin) oder unterstützen den Kampf der NPD (Schleswig-Holstein). Mitten im Europawahlkampf trat zudem gleich der halbe Bundesvorstand zurück. Christopher Lauer - früher Fraktionsvorsitzender der Berliner Piraten - schrieb daraufhin in seinem Internetblog: "Wir müssen mal unseren Scheiß klar kriegen." Wirklich viel geschehen ist seitdem nicht.

Dabei gibt es den Mann für die Mission "Scheiße war gestern" seit Ende Juni. Er heißt Stefan Körner, ist neuer Chef der Piraten und bekam beim Parteitag in Halle 62 Prozent der Stimmen. Körner wird dem liberalen Flügel zugerechnet und gilt als Vertreter derjenigen, die vor allem die Kompetenz in der Netzpolitik betonen wollen. Der Softwareentwickler ist seit 2009 bei den Piraten, leitete von 2010 bis 2013 den bayerischen Landesverband. Doch auch er gibt zu: "Die Piraten befinden sich momentan in einem etwas desolaten Zustand." Politische Dinge stünden zurzeit nicht im Vordergrund. "Wenn wir in Zukunft ernst genommen werden wollen, brauchen wir engagierte Mitglieder", erklärt Körner. Bürgerrechte und Datenschutz seien nach wie vor Themen, für die gekämpft werde. Nach einem überzeugenden Plan klingt das nicht.

Dabei haben die Piraten der deutschen Politik bemerkenswerte Impulse gegeben: Internetsperren, Überwachungsfragen, Breitbandversorgung. Themen, die schon vor den Piraten diskutiert wurden, die Dank ihnen aber eine parteipolitische Stimme bekommen haben. Mehr aber auch nicht. Den Piraten fehlt ein Kurs. Und ein Kader, der sich auf eine gemeinsame Linie verständigt und die Entscheidungen in der politischen Kampfarena durchboxt.

Die junge Partei braucht ein "System-Update". Sonst heißt es am Ende wieder, dass es eigentlich ganz gut ist, wenn in den Parlamenten Profis sitzen.

(RP)
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