Analyse Politiker für Verschwendung in Haft?

Düsseldorf · Die erstmalige Verurteilung eines früheren Mainzer Spitzenpolitikers wegen Untreue zu Lasten der Allgemeinheit hat ein altes Thema neu belebt: die Gleichbehandlung von Steuerhinterziehung und -verschwendung.

Den im Februar verstorbenen, unvergessenen mittelständischen Unternehmer und Handwerkskammer-Präsidenten Wolfgang Schulhoff bewegte ein gesellschaftspolitisch-ökonomisches Thema besonders: die zwingende Verbindung von Freiheit und Verantwortung in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Daran knüpfte der Düsseldorfer Ökonom Schulhoff seine Forderungen, hoch bezahlte Manager und Finanzakrobaten für angerichteten Schaden haftbar zu machen. Dahinter stand der Gedanke, dass der angestellte Boni-Empfänger so wie der freie Unternehmer ebenfalls das Risiko seines Tuns finanziell spüren sollte.

Ob Schulhoff begrüßt hätte, dass jetzt ein Landgericht (Koblenz) erstmals einen ehemaligen Spitzenpolitiker (Finanzminister a.D. Ingolf Deubel aus Rheinland-Pfalz) wegen Untreue zu Lasten der Steuerzahler zu dreineinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilte? Das darf man bezweifeln, denn Schulhoff war ein Mann von Maß und Mitte. Bei aller Entschiedenheit ging es ihm nie darum, das "Kind mit dem Bade" auszuschütten.

Politiker in verantwortlichen Positionen für möglicherweise auch schwerwiegende politische Fehler strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, ist zwar ein populäres Anliegen, das fix Beifall findet; aber ob es vernünftig, gar juristisch korrekt wäre, darf bezweifelt werden. So wie die Weltgeschichte nach einem berühmten Satz von Willy Brandt kein Amtsgericht ist, so kann nicht alles strafrechtlich relevant sein, was politisch blödsinnig, vielleicht auch größenwahnsinnig konzipiert wurde und die Allgemeinheit im Ergebnis eine Menge Geld kostet.

Das Urteil des Landgerichts Koblenz gegen besagten Ex-Finanzminister ist nicht rechtskräftig. Die Verteidigung des verurteilten Spitzenpolitikers hat Revision angekündigt. Niemand, auch nicht die Strafkammer, hat Deubel vorgeworfen, sich zu Lasten des Steuerzahlers bereichert zu haben. Das verlangt Paragrafen 266 Strafgesetzbuch (StGB); auch nicht. Dennoch liegt das Strafmaß (hier dreieinhalb Jahre) bloß 18 Monate unter der Obergrenze für eine Untreue-Handlung gemäß § 266 StGB. Nebenbei: In Deutschland gehen nicht selten abgefeimte Gewalttäter, besonders wenn es sich um Heranwachsende handelt, nicht härter, gar weniger hart bestraft aus einer Hauptverhandlung hervor als der angeklagte Politiker. Man kann diesen Ingolf Deubel deshalb als einen "armen Deuwel" bezeichnen. Er war neben dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten a.D. Kurt Beck der politisch Hauptverantwortliche für die jämmerliche Fehlkalkulation beim Eifeler Crash-Projekt Neuer Nürburgring. Deubel wird vorgeworfen, durch falsche Entscheidungen, auch allerlei Tricksereien, das zum Millionengrab gewordene Freizeitpark-Projekt rund um die legendäre Rennstrecke nicht geschlossen, sondern weiter vertieft zu haben. Sämtliche Signale standen längst auf Rot, aber Deubel schoss permanent Geld nach, weil er und die ambitionierten politischen Mainzelmännchen der Regierung Beck endlich Grün sehen wollten. Ergebnis: Rheinland-Pfalz blieb auf 330 Millionen Euro sitzen. Und deshalb soll nun auch Deubel "sitzen"?

Der Bund der Steuerzahler hat damit ebenso wenig Probleme wie das Gros derjenigen, deren Interessen er vertritt. Viele Steuerzahler halten es für überfällig, Politiker für katastrophale Fehlplanungen, Falscheinschätzungen zur Verantwortung zu ziehen (Stichwort: Elbphilharmonie Hamburg, Großflughafen Berlin-Brandenburg). Und zwar nicht nur bei der nächsten (Ab-)Wahlchance, sondern gegebenenfalls zivil- und strafrechtlich. Natürlich gilt auch für Politiker der eherne Grundsatz Nulla poena sine lege: keine Strafbarkeit ohne einen bei der Tat geltenden Straftatbestand. Da sich der Steuerzahlerbund wohl nicht sicher ist, ob der unter Juristen nicht unumstrittene Untreue-Tatbestand mangels Bestimmtheit leicht zum angestrebten Verurteilungs-Ziel führe, wird gar von manchen ein neuer Straftatbestand "Verschwendung von Steuergeld" angeregt. Dass sich ein politischer Tausendsassa wie der talkshow-erprobte Wolfgang Kubicki (FDP) jüngst an die Spitze der Bewegung pro Politiker-Haftung setzte, verwundert nicht; denn mit kaum einer anderen Forderung lassen sich derzeit so viele Beliebtheit-Punkte sammeln.

Zur Wahrheit gehört, dass der juristisch versierte Kubicki mit seinem Begehren den Finger in eine politische Wunde legt, die wirklich schmerzt. Wen ärgerten nicht die jährlichen Berichte von der Geldverschwendungsfront, welche die Rechnungshöfe von Bund und Ländern bekannt geben - rechtlich, strafrechtlich folgenlos? Für den fahrlässig verursachten Schaden eines Staatsdieners (Amtspflichtverletzung, Amtshaftung) steht dessen Dienstherr dem Geschädigten gerade.

Ein Steuerhinterzieher muss je nach Schwere seiner Schuld nach Maßgabe der Abgabenordnung (AO) mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren rechnen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass der Steuerhinterziehungs-Fall des einstigen Börsenzockers und Fußballmanagers Uli Hoeneß (er bekam so wie Deubel dreieinhalb Jahre Haft auferlegt) allerlei Menschen auf den Plan ruft, die sagen: Steuerverschwendung gehöre ebenso bestraft wie Steuerhinterziehung. Punktum.

Abgesehen davon, dass Hoeneß bei seiner Hinterziehung an den eigenen Vorteil gedacht hat, Politiker wie Deubel jedoch politischer Selbstüberschätzung erlegen sind, wäre es bei jeder denkbaren Politiker-Strafbarkeit schwierig, den Verantwortlichen Wissen um die strafbare Handlung und das Wollen derselben, sprich: Vorsatz nachzuweisen. Dies noch: Würde noch jemand, der bei Trost ist, Minister oder Bürgermeister werden wollen, der anschließend mit dem sprichwörtlichen "einen Bein im Knast" stünde?

(RP)
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