Straßburg Populisten entscheiden über Schulz-Nachfolge

Straßburg · EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat sich im Plenum in Straßburg von den europäischen Abgeordneten verabschiedet. Für seinen Nachfolger werden wohl mehrere Wahlgänge benötigt. Am Ende könnten die Rechten den Ausschlag geben.

Mit einem Plädoyer für ein geeintes Europa hat Martin Schulz gestern dem EU-Parlament Adieu gesagt. "Überall auf diesem Kontinent machen sich die Spalter und die Ultranationalisten wieder breit, diejenigen, die Menschen gegeneinander hetzen", sagte der SPD-Politiker im Plenum. "Mit aller Kraft werde ich mich jedenfalls auch künftig gegen diesen Hass stellen, egal von welcher Stelle aus."

Im Januar wird der 60-Jährige sein Amt nach fünf Jahren abgeben und in die Bundespolitik wechseln, wo er als Außenminister und Kanzlerkandidat gehandelt wird. "Ich war ganz sicher kein bequemer und auch kein einfacher Präsident", sagte Schulz, der seit 1994 im Europaparlament sitzt. Als Parlamentspräsident hatte er erst kürzlich einen Abgeordneten aus der Sitzung geworfen, als dieser in eine rassistische Tirade verfiel.

Einen letzten Auftritt in Straßburg wird Schulz im Januar am Tag vor der Wahl seines Nachfolgers haben, wenn er noch einmal die Plenarwoche eröffnen soll. Er wäre gerne noch eine Weile an der Spitze der Völkervertretung geblieben, fand dafür aber nicht die nötige Unterstützung der anderen Parteien. Wer am 17. Januar zu seinem Nachfolger gewählt wird, ist noch nicht klar - es wird aber wohl ein Italiener. Denn es läuft alles auf eine Kampfkandidatur zwischen dem ehemaligen EU-Kommissar Antonio Tajani, der für die Christdemokraten antritt, und dem Fraktionschef der Sozialisten Gianni Pitella hinaus. Dies steht fest, seitdem sich Tajani in der größten Fraktion im Europaparlament gegen drei weitere Kandidaten knapp durchgesetzt hatte. Der 63-Jährige bekam in der Fraktionssitzung 94 Stimmen. Seine EVP-Fraktion stellt 216 Abgeordnete im Parlament.

Obwohl Tajani von der größten Fraktion nominiert wird, werden ihm geringere Chancen als Pitella eingeräumt. Im EU-Parlament mit seinen 751 Stimmen benötigt der EVP-Kandidat die massive Unterstützung aus anderen Fraktionen. Die Sozialdemokraten (189 Stimmen) dürften einigermaßen geschlossen für Pitella stimmen. Bei den Grünen und Linken wird Tajani so gut wie keine Stimmen holen. Ihnen ist er so gut wie unvermittelbar, weil er der Partei von Silvio Berlusconi, Forza Italia, angehört und als enger Vertrauter des ehemaligen italienischen Regierungschefs gilt. Der Grüne Sven Giegold twitterte: "Mamma Mia. Tajani ist Parteifreund Berlusconis und schaute den Diesel-Abgastricks schon 2012 tatenlos zu. Unwählbar!"

Für den Fraktionschef der EVP, den CSU-Politiker Manfred Weber, ist die Entscheidung für Tajani eine Blamage. Der 44-jährige Weber, der gerade erst mit einem sehr guten Ergebnis wiedergewählt wurden war, hatte sich in einem Brief an die Abgeordneten gewandt und darum geworben, bei ihrer Entscheidung im Hinterkopf zu behalten, die Populisten nicht zu stärken. Genau dies ist jetzt aber eingetreten: Da Tajani bei Grünen und Linken auf größte Widerstände stößt, muss er wohl Stimmen im rechten Lager einsammeln, wenn er im dritten Wahlgang eine Chance haben will. Denn erst dann reicht die einfache Mehrheit.

Für Weber ist die neue Lage unangenehm: Die Schulz-Nachfolge ist die erste wichtige Personalentscheidung, die er in seiner Funktion als Fraktionschef regeln muss. Er hat sich massiv dafür starkgemacht, dass nach dem Sozialdemokraten Schulz wieder ein Mitglied der EVP-Fraktion den Posten bekommt. Sollte er damit scheitern, würde ihm dies als Niederlage angerechnet.

Da sich Tajani EVP-intern nur knapp durchsetzen konnte, rechnen Beobachter damit, dass selbst im dritten Wahlgang nicht alle EVP-Abgeordneten für ihn stimmen würden. In der EVP-Fraktion hatten die Irin Mairead McGuinness und der Franzose Alain Lamassoure mit Tajani um die Nominierung gekämpft. Insider der Fraktion berichten, dass Tajani in der Gruppe der 216 EVP-Abgeordneten von den drei Kandidaten die höchste Anerkennung genieße. Wie beliebt er intern ist, spielt aber am 17. Januar nicht die Hauptrolle. Entscheidend wird sein, welche Außenwirkung der Kandidat entwickelt - und da werden Tajani nun mal keine guten Prognosen gegeben.

Zu Beginn der Wahlperiode hatten Sozialisten und Christdemokraten im Europaparlament eine informelle Zusammenarbeit beschlossen. Teil der Vereinbarung war, dass zur Hälfte der Wahlperiode Martin Schulz (SPD) den Parlamentspräsidentenposten aufgibt und die EVP die Nachbesetzung regeln kann. Seitdem der Italiener Pitella vor wenigen Wochen seine Kandidatur angemeldet hat, gilt die informelle große Koalition als beendet.

(RP)
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