Thorsten Schäfer-Gümbel (spd) "Proteste gegen Flüchtlinge sind ein Angriff auf uns alle"

Vor der SPD-Parteizentrale in Berlin hat es Proteste für mehr Flüchtlingshilfe gegeben. Sind Sie zufrieden mit der Politik der großen Koalition in dieser Frage?

Vor der SPD-Parteizentrale in Berlin hat es Proteste für mehr Flüchtlingshilfe gegeben. Sind Sie zufrieden mit der Politik der großen Koalition in dieser Frage?

Schäfer-Gümbel Die europäische Flüchtlingspolitik ist beschämend. Es ist nicht einmal gelungen, einen Kompromiss für den Umgang mit den Flüchtlingsströmen nach Europa zu finden. Auch andere EU-Länder müssen endlich mehr Verantwortung übernehmen. In Deutschland sind wir zuletzt ein ganzes Stück weitergekommen, auch bei der Entlastung der Kommunen.

Als Landespolitiker werden Sie aber wissen, dass die Städte und Gemeinden noch nicht zufrieden sind.

Schäfer-Gümbel Beim letzten Gipfel konnte für die Integration von Flüchtlingen viel erreicht werden, was Sprachkurse angeht, aber auch dass Auszubildende nicht abgeschoben werden. Richtig bleibt aber, dass die Unterbringung von Flüchtlingen eine gesamtstaatliche Aufgabe ist. Städte und Gemeinden dürfen finanziell nicht alleingelassen werden. Da werden auf den Bund und auch auf die Länder weitere Anforderungen zukommen.

Weil sonst die Gefahr wächst, dass an noch mehr Orten Brandanschläge verübt werden oder gegen Flüchtlinge gehetzt wird?

Schäfer-Gümbel Finanzprobleme in Kommunen dürfen niemals eine Rechtfertigung für Gewalt gegen Flüchtlinge sein. Solche Angriffe sind Ausdruck von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die wir nicht tolerieren. Gewalt und aggressive Proteste gegen Hilfesuchende wie zuletzt im sächsischen Freital sind ein Angriff auf uns alle und unsere gemeinsamen Werte. Dagegen muss die gesamte Gesellschaft aufstehen.

Uneinsichtig ist der Koalitionspartner aus Ihrer Sicht beim Mindestlohn. Viele werten das Entgegenkommen von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei den Dokumentationspflichten als Einknicken.

Schäfer-Gümbel Das ist doch absurd! Der Mindestlohn gilt, und fast vier Millionen Menschen haben jetzt mehr im Portemonnaie. Der Union ging es nie um Bürokratie. In Wirklichkeit hat sie mit dieser größten Arbeitsmarktreform der letzten Jahre nicht ihren Frieden gemacht.

Fakt ist aber, dass Ministerin Nahles nun nachbessern musste. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits Zweifel an der EU-Konformität der Regeln - etwa für ausländische Lkw-Fahrer - geäußert.

Schäfer-Gümbel Andrea Nahles nimmt Vereinfachungen dort vor, wo sich nach sechs Monaten gezeigt hat, dass die Missbrauchsgefahr dort nicht besteht. Bei den Änderungen geht es darum, dass der ehrenamtliche Platzwart im Sportverein nicht durch den Mindestlohn wegfallen muss; und um Erleichterungen der Dokumentationspflicht etwa für Verwaltungskräfte, die über einen Zeitraum von zwölf Monaten ein Einkommen von mehr als 2000 Euro nachweisen.

JAN DREBES FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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