Analyse Putin zettelt einen Krieg an

Düsseldorf · Die Erfolge der ukrainischen Armee gegen die prorussischen Separatisten haben Moskau offenbar dazu bewogen, letztere nun massiv zu unterstützen. Das Risiko einer unkontrollierbaren Eskalation nimmt der Kreml dabei in Kauf.

Der Ukraine-Konflikt hat sich gestern noch einmal gefährlich zugespitzt. Seit Wochen beschuldigt die Regierung in Kiew den Kreml, russische Truppen auch jenseits der eigenen Grenze einzusetzen. Doch nie ließen sich die Vorwürfe eindeutig belegen, einige waren offensichtlich falsch. Jetzt aber gibt es kaum noch einen Zweifel, dass reguläre russische Soldaten in der Ost-Ukraine gemeinsam mit prorussischen Separatisten gegen die ukrainische Armee kämpfen. Die Nato spricht von mindestens 1000 russischen Militärs, ein Separatisten-Kommandeur nannte eine Zahl von 3000 Kämpfern. Dass es sich dabei angeblich ausschließlich um Freiwillige handelt, darunter russische Militärangehörige auf Urlaub, tut dabei nichts zur Sache: Der russische Präsident Wladimir Putin ist dabei, einen Krieg anzuzetteln.

Nach bisherigen Erkenntnissen unterstützen die Russen die Separatisten nicht nur mit Soldaten, sondern auch mit Panzern, bewaffneten Fahrzeugen und Raketenwerfern. Auf russischem Territorium sind obendrein Truppen in einer Stärke von 20 000 Mann konzentriert, die jederzeit in das Nachbarland einmarschieren können.

Offenbar sollen die zuletzt militärisch unter Druck geratenen Rebellen bei einer Gegenoffensive gegen die ukrainischen Verbände unterstützt werden. Anscheinend zielt diese aber auch darauf ab, eine Landverbindung von der russischen Grenze bis zur von Moskau gerade erst annektierten Krim zu schaffen. Die Vorgehensweise ähnelt der russischen Eroberung der Halbinsel im Februar und März. Wie auf der Krim wurden jetzt auch in der Grenzregion russische Armeefahrzeuge ohne Kennung und Hoheitsabzeichen gesichtet. Und wie damals dementiert die russische Regierung auch jetzt wieder lautstark jegliche direkte Verwicklung.

Die Lage in der Ost-Ukraine ist für den Kreml freilich mit erheblich höheren Risiken verbunden als die handstreichartige Übernahme der Krim. Diese Eroberung war territorial klar eingrenzbar, der Westen wurde völlig überrumpelt, und die Separatisten auf der Krim ließen sich leicht steuern. All dies gilt nicht für die Ost-Ukraine. Man darf Wladimir Putin glauben, dass er es ernst meinte, als er nach der Annexion der Krim davon sprach, Russland habe kein Interesse daran, sich die Ost-Ukraine einzuverleiben. Allerdings hat sich der Kremlchef politisch seither in eine gefährliche Sackgasse manövriert.

Die beinahe völlig gleichgeschalteten russischen Medien hatten die Bevölkerung nach der sogenannten Heimholung der Krim in einen patriotischen Taumel versetzt, der sich auch auf die "russischen Brüder" in der Ost-Ukraine übertrug. Putins Popularität schlägt seither alle Rekorde. Selbst die westlichen Sanktionen, die sich durchaus schon im russischen Alltagsleben auswirken, konnten daran bislang nichts ändern. Doch damit ist es für Putin praktisch unmöglich geworden, eine Niederlage der als russische Freiheitskämpfer verklärten Separatisten gegen ukrainische "Faschisten" zuzulassen. Sie wäre für Putin eine persönliche Blamage und möglicherweise sogar der Anfang vom politischen Ende.

Das erklärt, warum Putin ein derartiges Risiko eingeht. Und das macht es so schwierig, ihn zur Räson zu bringen. Beim Sondergipfel der Europäischen Union morgen, auf dem sich die Staats- und Regierungschefs eigentlich vorwiegend mit der Besetzung der neuen Brüsseler Kommission beschäftigen wollten, wird es jetzt wohl vor allem um neue Sanktionen gegen Russland gehen.

(RP)
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