Interview mit Michail Chodorkowski "Putins Ablösung liegt nicht allzu fern"

Berlin · Der Kreml-Kritiker Michael Chodorkowski kämpft nach seiner Entlassung aus zehnjähriger Haft für ein freieres Russland nach Präsident Putin.

Interview mit Michail Chodorkowski: "Putins Ablösung liegt nicht allzu fern"
Foto: dpa, rje lof hpl

Der einst reichste Mann Russlands ist ein Leisetreter. Plötzlich steht Michail Chodorkowski da, fast niemand in der Literaturwerkstatt der Berliner Kulturbrauerei hat sein Kommen bemerkt. Er trägt ein dunkles Hemd, einen grauen Anzug, er begrüßt uns höflich, fast unhörbar leise in russischer Sprache. Seit Dezember 2013 ist er nach zehn Jahren Haft wieder frei, Putin ließ ihn überraschend ausreisen. Von der Schweiz aus kämpft er jetzt für ein freieres Russland nach der Ära Putin. Unsere Korrespondentin Birgit Marschall und Vertreter anderer Medien konnten ihm Fragen stellen.

Sie sind gekommen, um über die Aktivitäten Ihrer Organisation "Offenes Russland" zu berichten. Was tut sie?

Chodorkowski "Offenes Russland" hat es übrigens schon vor meiner Verhaftung im Oktober 2003 gegeben. Jetzt - neun Monate nach meiner Entlassung - lasse ich diese Organisation, die ihren Sitz in Prag hat, wieder aufleben. Es geht mir um die Fortsetzung meiner gesellschaftlichen Aktivitäten. "Offenes Russland" soll Einfluss ausüben auf die russische Staatsmacht. Wir wollen erreichen, dass die Staatsmacht in ihrem Handeln auch die Interessen des europäisch gesinnten Teils der russischen Gesellschaft vertritt. Des Teils der Gesellschaft, der es für wichtig hält, in Russland einen Rechtsstaat zu schaffen. Der es für wichtig hält, dass die Staatsmacht regelmäßig auch abgewählt werden kann, dass es eine Gewaltenteilung in Russland und eine normale Opposition gibt.

Können Sie diese Ziele erreichen, solange Putin an der Macht ist?

Chodorkowski Auch Wladimir Putin sollte ein Interesse daran haben, diese Ziele zu erreichen. Denn jeder Machthaber kommt irgendwann an sein Ende. Auch bei Putin liegt dieser Zeitpunkt nicht mehr allzu fern. Jeder Machthaber möchte doch, dass die Menschen ihn als guten Präsidenten in Erinnerung behalten und nicht als den, der sein Land in die Krise geführt hat. Ob Putin imstande ist zu verstehen, dass nur ein vorsichtiger Rückbau des von ihm geschaffenen Machtsystems geeignet ist um zu verhindern, dass es zu einer Krise kommt, bezweifle ich.

Warum hat Putin die Krim annektiert? Warum geht er in der Ukraine so vor? Haben Sie eine Erklärung?

Chodorkowski Im Kreml herrscht die Meinung vor, dass in Kiew eine faschistische Junta an die Macht gekommen sei, der die russischen Menschen in der Ukraine nicht in die Hände fallen dürfen. Wir erklären uns sein Handeln in der Ukraine anders: Putins Popularitätswerte sind in letzter Zeit stark gefallen. Er stand kurz vor seinem fünfzehnten Jahr, diese Marke wird in Russland Breschnew-Marke genannt, weil üblicherweise nach so langer Zeit die Popularität stark sinkt. Deshalb musste Putin aus dieser bedrängten Situation herauskommen, deshalb hat er in der Bevölkerung durch die Annexion der Krim eine chauvinistische, nationalistische Stimmung geschürt. Das ist ein gefährlicher Weg, aber einen anderen Ausweg gab es nicht für Putin, denn die Möglichkeit, die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern, hatte Putin nicht.

Was erwarten Sie jetzt von Europa, von der Bundesregierung? Wie sollen sie im Ukraine-Konflikt handeln?

Chodorkowski Die Handlungsmöglichkeiten Europas sind begrenzt, das weiß auch Putin. Europa muss jetzt der Ukraine wirtschaftlich und finanziell auf die Beine helfen. Auch 1998 wäre es möglich gewesen, die Krise zu verhindern, die letztlich Putin an die Macht verholfen hat. Damals hätte Europa Russland 50 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellen müssen, die Russland bis heute längst wieder zurückgezahlt hätte. Gleichwohl hat der Westen damals entschieden, dieses Geld Russland nicht zu geben. Das war ein großer Fehler.

Wiederholt der Westen jetzt diesen Fehler in der Ukraine?

Chodorkowski Deutschland hat Kapazitäten, die sie der Ukraine bereitstellen sollten, damit sie ihre Probleme in den Griff bekommt. Die Bundesregierung und die Industrie wissen das. Aber sie sind bislang nicht bereit, der Ukraine eine Summe bereitzustellen, die weit geringer wäre als die Hilfen für Griechenland. Ich halte das für einen schwerwiegenden Fehler. Es geht darum, das "schwarze Loch" Ukraine in Europa zu verhindern. Das sollte Europa 50 bis 70 Milliarden Euro an Hilfen für die Ukraine wert sein.

Wie stellen Sie sich einen Machtwechsel in Russland vor?

Chodorkowski Die russische Geschichte zeigt, dass es häufig zu Machtwechseln gekommen ist, wenn entweder der Machthaber gestorben ist oder es zu einem Umsturz kam. Sehr selten gab es einen ruhigen Machtwechsel. Leider hat Putin ausgeschlossen, zu seinen Lebzeiten einen unumstrittenen Nachfolger aufzubauen. Man muss also damit rechnen, dass es irgendwann zu einem Umsturz kommt. Eine Palastrevolution wäre mit weniger Blutvergießen verbunden. Wenn aber der Konflikt auf die Straße getragen würde, wird es sicher großes Blutvergießen geben.

Wie wollen Sie das verhindern?

Chodorkowski Wenn das Regime zusammenbricht, ist es wichtig, dass es ein Management-Team gibt, das die Hebel der Macht schnell in die Hand nehmen kann. Ein Ziel meiner Organisation "Offenes Russland" ist es, dafür zu sorgen, dass es so ein politisches Management-Team gibt. Wir brauchen dafür Leute mit Erfahrung. Deswegen bin ich auch dafür, dass unsere Leute an Kommunalwahlen teilnehmen. Auch wenn das nur eine Fiktion ist, weil die Opposition nicht gewinnen kann, aber man sammelt dabei wichtige Erfahrungen.

In Deutschland wird oft gesagt, der Westen habe gegenüber Russland strategische Fehler gemacht, etwa die Einkreisungsängste Russlands ignoriert. Welche Fehler sehen Sie?

Chodorkowski Ja, der Westen hat das strategische Denken verlernt. Aber die gegenwärtige Situation ist keine Folge der Fehler des Westens. Denn das würde unterstellen, dass Russland und Putin im Besonderen nicht Subjekt, sondern Objekt der Politik seien. Eigentlich stimmen die Interessen des russischen Volkes überein mit den Interessen der euro-atlantischen Gemeinschaft. Man hätte über die Ukraine mit dem Westen reden und versuchen müssen, gemeinsam die richtigen Schritte zu gehen. Stattdessen haben wir auf das reflexartige Handeln des Westens mit eigenen Reflexen reagiert. Im Ergebnis geht es allen schlecht damit, nur uns geht es noch schlechter, weil wir eine ungünstigere Ausgangsposition hatten. Ich halte es aber nicht für sinnvoll, in erster Linie über die Fehler des Westens zu reden, sondern über unsere eigenen Fehler nachzudenken.

(mar)
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