Berlin/Kiew Putins Eingreifen in Syrien verunsichert Ukraine

Berlin/Kiew · Russland fliegt Luftangriffe gegen Stellungen des "Islamischen Staats". Will Putin damit nur von der Krise im Donbass ablenken?

Ein Gespenst geht um in der Ukraine. Seit Tagen geistert die Angst durch das Land, Russland könnte sich mit dem Westen in weltpolitisch existenzielleren Fragen wie der Syrien-Krise einigen - und darüber den schwelenden Krieg in der Ukraine vergessen. Wie real der Spuk ist, zeigte sich am Montag, als sich Kremlchef Wladimir Putin in New York erstmals seit zwei Jahren mit Barack Obama traf. Der US-Präsident beharrte zwar darauf, die Ukraine zu thematisieren. Im Zentrum der Gespräche standen aber mögliche Strategien im Nahen Osten und der Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS).

Gestern verkündete das russische Verteidigungsministerium zudem, Russland habe bereits Munitionsdepots und Treibstofflager des IS etwa 200 Kilometer von Damaskus entfernt bombardiert. Das Parlament in Moskau hatte kurz zuvor den Weg für einen russischen Militäreinsatz in Syrien freigemacht.

Dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko bleibt in dieser Situation nichts anderes übrig, als der Welt seine Sicht der Dinge in Erinnerung zu rufen: "Die Syrien-Frage ändert nichts an der Ukraine-Frage", erklärt Poroschenko geradezu gebetsmühlenartig, so auch vor den Vereinten Nationen, noch bevor Obama und Putin die New Yorker Bühne betraten. Richtig ist: In Wirklichkeit glimmt die Lunte am Pulverfass Ukraine noch immer. Ob daran der gestern von den Konfliktparteien angekündigte Teilabzug von Waffen aus den Krisengebieten etwas ändern wird, ist fraglich. Wie angespannt die Lage ist, machte Poroschenkos Auftritt in New York deutlich: "Die Durchführung von Pseudowahlen in den Regionen Donezk und Lugansk würde den gesamten Minsker Friedensprozess gefährden. Wir werden alles tun, um solche Abstimmungen zu verhindern", kündigte er an. Das Wort "alles" ließ sich nur so verstehen, dass die ukrainische Armee im Ernstfall die Waffenruhe einseitig beenden würde, die seit dem 1. September im abtrünnigen Donbass gilt und bislang weitgehend eingehalten wird. Das aber hieße: Krieg.

In diesem Fall wäre das Minsker Abkommen zwischen den Moskau- treuen Separatisten in der Ost-Ukraine und der Regierung in Kiew tot. Der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko, der bei dem Vertragsschluss im Februar Pate gestanden hatte, warnte vor den UN: "Das wäre ein Schritt auf dem Weg zu einem neuen Weltkrieg." Und auch Obama wies Putin darauf hin, wie wenig Zeit in der Ukraine bleibe.

Das ist der dramatische Hintergrund, vor dem sich morgen in Paris das sogenannte Normandie-Quartett zu neuen Ukraine-Gesprächen trifft. Außer Putin und Poroschenko sitzen Gastgeber François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit am Tisch. Wladimir Putin kommt mit breiter Brust in die französische Hauptstadt. Im Angesicht des Syrien-Krieges, des IS-Terrors und der Flüchtlingstragödie sei "die Kompromissbereitschaft im Westen derzeit groß, ohne dass sich Putin bewegen müsste", erklärt Stefan Meister, Russland- und Ukraine-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Tatsächlich ist kaum zu übersehen, dass die Unterstützung für Poroschenko im Westen schwindet. Es war ja nicht nur der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel, der Ende vergangener Woche vorschlug, die Russland-Sanktionen auf den Prüfstand zu stellen. Der französische Präsident Hollande hatte bereits vor Wochen eine Abmilderung der Strafmaßnahmen ins Gespräch gebracht, die der Westen nach der Annexion der Krim gegen Russland verhängt hatte.

Obama versicherte in New York zwar, eine Aufhebung der Sanktionen könne es nicht ohne Gegenleistung geben. Derzeit scheint es aber Angela Merkel zu sein, auf die Poroschenko seine Hoffnungen setzt. Die Bundeskanzlerin, eine bekennende Putin-Skeptikerin, habe ihm bei einem Treffen in New York in die Hand versprochen, die von den Separatisten geplanten Wahlen in der Ost-Ukraine nicht hinzunehmen, berichtete Poroschenko.

In Paris dürfte diese Frage zum Lackmustest werden, vor allem für den Friedenswillen Putins. Wird der Kremlchef die Separatisten stoppen, die am 18. Oktober und 1. November in den abtrünnigen Regionen Donezk und Luhansk wählen lassen wollen, die sie militärisch kontrollieren? Und wenn ja: Werden es die Moskau-treuen Kämpfer zulassen, dass in "ihren" Gebieten stattdessen am 25. Oktober nach ukrainischem Recht und unter internationaler Beobachtung gewählt wird, wenn zeitgleich landesweit Kommunalwahlen stattfinden?

(RP)
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