Radikaler Islamismus Feste sind für den IS Gotteslästerung

Bagdad · Hochzeits-, Geburtstags- und Trauerfeiern sind Ziel von Anschlägen. Die Extremisten verlieren allerdings Raum und Führungspersonal.

Die Karikatur unseres Zeichners Nik Ebert.

Die Karikatur unseres Zeichners Nik Ebert.

Foto: Nik Ebert

Ein Fest der Freude sollte dieser 14. Juli in Nizza sein, doch es kam ganz anders. Der Attentäter war den Geheimdiensten nicht bekannt, in keiner Datenbank wegen möglicher Radikalisierung geführt, es gab auch kein Bekennerschreiben. Dennoch entspreche der Anschlag, so Staatsanwalt François Molins, den "Mord-Appellen" verschiedener islamistischer Gruppen. Der Hergang erinnert an ein ähnliches Schreckensszenario in Bagdad vor zwei Wochen: Der Fastenmonat Ramadan neigte sich dem Ende zu; das Zuckerfest stand kurz bevor. Tausende Menschen waren auf den Straßen, ausgelassen und erleichtert. Auch hier war es wie in Nizza ein Lastwagen. Er hatte Sprengstoff geladen. Seitdem reißt der Terror in der irakischen Hauptstadt nicht ab. Fast täglich explodieren Bomben.

Feste lenken vom Beten ab

Feste seien nicht im Sinne der Religionsgesetze (Scharia) und lenkten nur vom Gebet zu Allah ab, so die Lesart extremistischer Muslime, die jede Art von Feiern als Gotteslästerung betrachten. Keine Musik, keine Kinos, kein Theater, keine Partys - alles ist "haram", verboten. Seit Jahren werden im Irak und in Syrien Hochzeitsfeiern angegriffen, Geburtstagspartys in Restaurants und Studienabschlussfeiern in Cafés. Selbst Trauerfeiern sind oft Ziel der Terroristen - nicht nur, weil sich dort viele Menschen versammeln. Es ist auch ein ideologischer Aspekt dabei, um die Gräueltaten religiös zu legitimieren. Töten im Namen Allahs hat eine andere Dimension als Töten um des Tötens willen.

Allerdings gibt es auch profane Gründe zum Mitmachen, etwa Rache und Vergeltung. Wann immer die Terrormiliz Islamischer Staat Teile ihrer 2014 eroberten Territorien im Kampf räumen musste, erfolgte unmittelbar danach ein Gegenschlag. Die Botschaft war stets die gleiche: "Ihr habt uns zwar vertrieben, wir sind aber immer noch da." Auf die Rückeroberung Tikrits durch irakische Regierungstruppen folgte die Eroberung Ramadis durch den IS. Als die selbst ernannten Gotteskrieger Ramadi verloren, griffen sie Städte in der Nähe von Mossul an und verstärkten ihre Präsenz in Libyen und auf dem ägyptischen Sinai. Als sie Falludscha verloren, erfolgte die Terrorwelle in Bagdad.

Allerdings haben die sunnitischen IS-Extremisten in den vergangenen Monaten mehrere Anführer verloren. Erst vor wenigen Tagen bestätigten Anhänger des IS, dass der unter seinem Kampfnamen "Omar der Tschetschene" bekannte Tarkan Batiraschwili getötet worden sei. Er galt als "Kriegsminister" des IS und gehörte zum engsten Führungszirkel. Angeblich ist er von einem französischen Kampfflugzeug getötet worden.

US-Verteidigungsminister Ashton Carter hatte Ende März erklärt, dass IS-Finanzchef Abdul Rahman Mustafa al Kaduli bei einer Militäroperation getötet worden sei. "Wir eliminieren systematisch ihr Kabinett", sagte Carter damals. Zudem gibt es Gerüchte über schwere Verletzungen von IS-Chef Abu Bakr al Bagdadi. Diese wurden aber nie offiziell bestätigt.

Tatsache ist: Der IS dünnt sowohl personell als auch territorial aus. Allein bei der Rückeroberung Ramadis sollen über 1200 IS-Kämpfer getötet worden sein. Im Kampf um die Rückeroberung Falludschas seien fast 2000 Dschihadisten gefallen, heißt es. Mittlerweile hat der IS mehr als ein Viertel des Territoriums des selbst ausgerufenen Islamischen Staates im Irak verloren. In Syrien dürften die Verluste noch höher sein. FBI-Direktor James Comey prophezeit, dass es nach der Zerstörung des vom IS proklamierten Kalifats durch das Militär eine "terroristische Diaspora" geben werde . Sind die Anschläge von Nizza und Bagdad demnach erst der Anfang?

Wie sich die Strategie des IS verändert, zeigte sich Anfang der Woche in Dijala, als 110 Kilometer nördlich von Bagdad etwa 40 IS-Kämpfer gleichzeitig mehrere vor Monaten befreite Dörfer überfielen. Doch während die Terroristen noch vor zwei Jahren Eroberungszüge zur Errichtung ihres Kalifats durchführten, agierten sie dieses Mal völlig anders. "Sie trieben die Dorfbewohner zusammen und machten klar, dass der IS immer noch existiert und stark genug ist, um jederzeit wieder zurückzukommen", berichtet Rahim Aziz, Vorsitzender der Provinzverwaltung. "Sie verteilten Flugblätter mit der Warnung, dass jeder bestraft wird, der mit der irakischen Armee oder der Peschmerga kooperiert." Der IS wolle die Stellung der Sicherheitskräfte schwächen, indem er die Bevölkerung einschüchtert. "Das ist die alte Taktik von Al Kaida", sagt Aziz. "Daesh versucht sich zu reorganisieren", kommentiert Adnan Hasam, ein in der Region stationierter Geheimdienstoffizier der irakischen Armee, den Strategiewandel. "Sie sind dabei, sich zu einer Guerilla-Zelle zurückzubilden."

(RP)
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