Istanbul Türkische Polizei geht gegen Erdogan-Kritiker vor

Istanbul · Bei einer Großrazzia werden dutzende Regierungsgegner festgenommen. Unter ihnen sind Anhänger des Predigers Gülen.

Rund ein Jahr nach Korruptionsvorwürfen gegen Vertraute des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan haben Polizisten Dutzende Journalisten und angebliche Regierungsgegner festgenommen. Darunter seien unter anderem der Chefredakteur der Zeitung "Zaman", Ekrem Dumanli, und der ehemalige Leiter der Istanbuler Anti-Terror-Einheit, berichtete die Nachrichtenagentur DHA. Insgesamt seien 32 Haftbefehle erlassen und 24 der Verdächtigen festgenommen worden, meldete der Sender CNN Türk. Die Zeitung "Zaman" und der Medienkonzern Samanyolu stehen dem mit Erdogan verfeindeten islamischen Prediger Fethullah Gülen nahe.

Gülen ist ein Rivale und Kritiker Erdogans. Er lebt seit 1999 in den USA im selbstgewählten Exil. Erdogan und sein Nachfolger im Amt des Premiers, Ahmet Davutoglu, werfen der Gülen-Bewegung vor, den Staat und die Justiz zu unterwandern. Sie nennen die Anhänger des Predigers "Agenten" oder "eine Bande" und "Verräter".

"Zaman"-Kolumnist Mustafa Yilmaz, der gestern im Gebäude seiner Zeitung ausharrte, sagte unserer Zeitung, das Vorgehen der Sicherheitskräfte sei eine "Schande". Die zivilen Behörden verhielten sich wie bei einem Militärputsch. Er rechne mit weiteren Festnahmen in den kommenden Tagen. Türkische Journalistenverbände kritisierten das Vorgehen der Polizei.

Den Beschuldigten wird die Bildung einer illegalen Organisation mit dem Ziel eines Staatsstreiches vorgeworfen. Laut regierungstreuen Medien stützten sich die Festnahmen auf ein angeblich illegales Vorgehen von Gülen-treuen Justiz- und Medienvertretern gegen einen internen Rivalen des Predigers im Jahr 2010. Die Aktion wirke "wie ein neuer Versuch, kritische Medien unter Druck zu setzen", erklärte die Türkei-Vertreterin der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb.

Erdogan hatte 2013 den Kampf gegen seinen früheren Unterstützer Gülen aufgenommen, nachdem Erdogan-Anhänger und Gülen-Gefolgsleute bei der Besetzung von Posten im Staatsapparat zu erbitterten Konkurrenten geworden waren. Seitdem wirft Erdogan dem Prediger den Aufbau paralleler Strukturen im Staat vor und spricht von einem Putschversuch, was Gülen zurückweist. Erst in den vergangenen Tagen hatte Erdogan bekräftigt, die Gülen-Anhänger bis in den letzten Winkel ihrer Verstecke verfolgen zu wollen.

"Diese Operation widerstrebt den europäischen Werten und Standards", erklärte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Die Türkei ist seit 1999 EU-Beitrittskandidat, seit 2005 wird darüber verhandelt.

(RP)
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