Brüssel Regulierungswut: EU lässt sich kaum zügeln

Brüssel · Europas Abgeordnete wollen überflüssige Richtlinien zurücknehmen, setzen aber gleichzeitig auf neue Mindestanforderungen.

Es sind oft kleine Dinge, die Europa großen Imageschaden zufügen: so wie die Salat-Revolution. Da probten Abgeordnete und Parlamentsmitarbeiter jüngst den Aufstand, weil das Grünzeug in der defizitären Kantine nicht mehr zum Einheitspreis von gut zwei Euro verkauft wird. Es muss neuerdings nach Gewicht bezahlt werden. Die Folge: Wer viel drauflädt, zahlt mehr. Kein Wunder, dass immer mehr Bürger weltfremd finden, was Brüssel so treibt. Eine steigende Zahl von Europäern verbindet die EU primär mit Überregulierung statt mit Frieden, Freizügigkeit und Wohlstand.

Schuld daran sind Regeln wie das Glühbirnen-Verbot oder der Bann offener Ölkännchen auf Restaurant-Tischen. Letzterer war zwar ganz nach dem Geschmack der Olivenöl-Produzenten des Südens. Massive Proteste im Rest Europas und im Parlament bewegten die Kommission jedoch dazu, die Pläne wieder einzukassieren.

Kritik an der Brüsseler Einmischung in Alltags-Dinge ist längst nicht mehr ein Alleinstellungs-Merkmal von Populisten und EU-Skeptikern. Auch die etablierten Parteien fordern in ihren Wahlprogrammen, dass Brüssel sich auf große Fragen konzentrieren soll - so wie Außen- oder Handelspolitik. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat das Problem erkannt. So schaffte er trotz heftigem Widerstand die Gurkenkrümmungs-Regeln ab, die lange als Paradebeispiel für Irrsinn aus Brüssel herhielten. Barroso ersann gar ein Programm zur EU-Selbstbeschränkung: "Refit", heißt es im EU-Jargon. Konkret bedeutet es, dass die Kommission überflüssige Regelungen zurücknimmt oder nicht weiterverfolgt - so etwa Sicherheitsnormen für Schuhwerk und Föhne.

Die Behörde will Abschied nehmen vom alten Credo: je mehr Regulierung desto mehr Europa. Das Problem: Der Verbraucher sieht davon nichts. Denn kaum war "Refit" verkündet, wurden neue Effizienzregeln für Staubsauger und Kaffeemaschinen bekannt. Die Wurzel des Übels heißt Ökodesign-Richtlinie. Mit ihr setzt die EU-Kommission Mindestanforderungen für den Energieverbrauch von Verbraucherprodukten bis hin zu großen Industriemaschinen.

Das läuft auf ein Verbot aller Produkte heraus, die diese Anforderungen nicht erfüllen. Die Bann-Liste wird immer länger. "So verliert die EU weiter an Zuspruch und Vertrauen", wettert der FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Alexander Graf Lambsdorff. Er fordert: "Diese absurde Richtlinie muss endlich zurückgenommen werden." Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel setzten die Ökodesign-Richtlinie übrigens unter deutschem EU-Vorsitz 2007 maßgeblich mit durch. Und auch das Europaparlament fiel nicht unbedingt als standhafter Vorkämpfer gegen Bevormundungs-Gesetzgebung auf.

Die EU-Kommission betont, sie habe Fortschritte erzielt. Seit 2005 seien 5590 Rechtsakte aufgehoben worden. Zwischen 2007 und 2012 habe sich der Verwaltungsaufwand für Unternehmen um mehr als ein Viertel verringert. Großen Anteil daran hat Edmund Stoiber. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident leitet seit 2007 eine ehrenamtliche Expertengruppe, die das EU-Paragrafen-Dickicht für Europas 23 Millionen Firmen lichten soll.

So musste ein Schreiner aus Garmisch-Partenkirchen, der lokal arbeitet und nur selten einen Schrank nach München liefert, einen digitalen Tachografen einbauen, um EU-Regeln über Lenkzeiten zu genügen. Diese Pflicht ist abgeschafft. 300 solcher Vereinfachungsvorschläge hat Stoibers Team gemacht, wichtige sind umgesetzt. Für Europas Unternehmen bedeutet das eine Entlastung von 32,9 Milliarden Euro - für deutsche Firmen sechseinhalb Milliarden. Im Oktober legt Stoiber seinen Abschlussbericht vor. Sein Fazit: Es bleibt noch viel zu tun.

(RP)
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