Angriffe auf Polizisten Das krude Weltbild der "Reichsbürger"

Düsseldorf/Berlin · In Franken erschoss ein "Reichsbürger" einen Polizisten, in Sachsen-Anhalt gab es jetzt erneut einen Angriff auf Einsatzkräfte. Taten wie diese verändern den Blick auf eine Bewegung, die man bisher eher als Sammelbecken für Verwirrte wahrnahm. Rechtlich ist ihre Argumentation gefährlicher Unsinn.

 Absperrband am Tatort in Georgensgmünd - hier erschoss ein "Reichsbürger" einen Polizisten

Absperrband am Tatort in Georgensgmünd - hier erschoss ein "Reichsbürger" einen Polizisten

Foto: dpa, dka kno

Sie galten als penetrant, störend, extrem lästig und als Verschwörungstheoretiker. Jene wachsende Zahl von "Reichsbürgern", die die Bundesrepublik als Staat ablehnen, den Gerichten schwer zu schaffen machen und stattdessen ihren eigenen kleinen Staat ausrufen oder sich allein dem Deutschen Reich zugehörig fühlen. Lesart: eher verwirrt als vorsätzlich gefährlich. Seit dem tödlichen Schuss eines "Reichsbürgers" auf einen 32-jährigen Beamten eines Spezialeinsatzkommandos im fränkischen Georgensgmünd bei Nürnberg dreht sich die öffentliche Wahrnehmung. Dazu beitragen dürfte der jüngste Angriff auf Polizeibeamte in Sachsen-Anhalt, wo Reichsbürger auf Polizisten einschlugen und verletzten.

 In diesem Haus in Georgensgmünd fielen die tödlichen Schüsse.

In diesem Haus in Georgensgmünd fielen die tödlichen Schüsse.

Foto: dpa, nar fgj

"Der Vorfall vom Mittwoch ist Anlass genug, noch einmal ganz genau hinzuschauen", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière unserer Redaktion. Bislang habe der Verfassungsschutzverbund die "Reichsbürger" als sehr zersplitterte und heterogene Bewegung gesehen und nur regional aktive Einzelpersonen und Kleinstgruppen dem rechtsextremistischen Personenpotenzial zugerechnet, erläuterte der CDU-Politiker. Sein Ministerium habe nun "das Bundesamt für Verfassungsschutz gebeten, zusammen mit den Ländern genau zu prüfen, ob die bisherige Bewertung weiter Bestand haben kann".

Stark gestiegene Aggressivität und Gewaltbereitschaft

Die Frage liegt nahe, ob fünf Jahre nach dem Erschrecken über den rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) erneut Bestrebungen entstanden sind, die sich rechtsterroristisch betätigen. Denn längst geht es nicht mehr "nur" darum, Prozessbeteiligte zu stalken, als Querulanten Verfahren zu torpedieren und in abgedrehten pseudo-juristischen Argumentationen die Bundesrepublik als bloße Firma ("GmbH") zu deuten, deren Bürger lediglich ihr "Personal" ("Personalausweis") seien.

Aus mehreren Bundesländern melden die Verfassungsschützer eine stark gestiegene Aggressivität und Gewaltbereitschaft dieser "Reichsbürger" und sich häufende Aufrufe zu Mord und Totschlag. So gibt ein "Reichsbürger" aus Köln auf seiner Internetseite für den Fall einer Verkehrskontrolle, bei der ein "sogenannter Polizist" keinen Nachweis über hoheitliche Rechte erbringe, die Handlungsempfehlung: "Einfach abknallen, abstechen oder anders unschädlich machen!"

Mitglieder treten mittlerweile ganz unverhohlen in der Öffentlichkeit in Erscheinung. So hielten "Reichsbürger" kürzlich in Köln am Bahnhofsvorplatz eine Mahnwache ab. An ihren Stand hatten sie ein Plakat mit der Aufschrift "Die BRD ist nicht unser Deutschland" aufgehängt. Darüber hinaus fanden in den vergangenen Monaten auch immer wieder Kleinstkundgebungen statt unter dem Motto "Es reicht - raus aus der Diktatur".

"Waffen gehören nicht in die Hände dieser Leute"

Als fatal erweist sich die Neigung vieler "Reichsbürger", sich Waffen zuzulegen. "Waffen gehören nicht in die Hände dieser Leute", sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Erklärte Staatsfeinde böten keine Gewähr für einen verantwortungsvollen Umgang mit Schusswaffen. Deshalb prüften die Behörden regelmäßig, ob Rechtsextremen die Waffenbesitzkarten entzogen werden könnten. Da Waffen auch ohne Waffenschein gehandelt werden, gäbe es bei diesem Verdachtsmuster inzwischen viel zu überprüfen. Allein in NRW geht der Verfassungsschutz inzwischen von einer dreistelligen Zahl von "Reichsbürgern" aus.

Auch bei dem tödlichen Schuss ging es um Waffen. Und zwar gleich um 31 Kurz- und Langwaffen, die die Polizei bei dem "Reichsbürger" einziehen wollte. Wie nötig das war, zeigte sich, als der Mann durch die ungeöffnete Türe auf das Spezialeinsatzkommando schoss und neben dem tödlich getroffenen einen weiteren Beamten schwer und zwei andere leicht verletzte. Er muss sich nun auf einen Mordprozess einstellen.

Allein in Bayern wurden im vergangenen Jahr mehr als 20 "Reichsbürger" verurteilt. Sie weigern sich, Steuern und Bußgelder zu zahlen, treten aber immer häufiger auch mit Gewaltdelikten in Erscheinung. So verweigerte im August in Baden-Württemberg ein "Reichsbürger" eine Verkehrskontrolle und schleifte einen Polizisten an seinem Wagen mit. In Sachsen-Anhalt lieferte sich ein anderer "Reichsbürger" eine Schießerei mit der Polizei. Erst gestern schlugen in Salzwedel, ebenfalls in Sachsen-Anhalt, ein "Reichsbürger" und seine Ehefrau auf einen Polizisten ein.

Krude Theorien über die Legitimität des Grundgesetzes gibt es bereits seit seinem Inkrafttreten 1949. "Reichsbürger" meinen, das Deutsche Reich sei nach 1871 nie untergegangen. Weder Nazis noch Alliierte hätten die Weimarer Reichsverfassung außer Kraft gesetzt. In der Tat entschied 1987 sogar das Bundesverfassungsgericht, dass sich die Bundesrepublik als "identisch mit dem Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich" betrachte. Die Karlsruher Richter meinten damit freilich, dass das Deutsche Reich als eine Art "Dach" existent sei, aber eben nicht als Staat.

Nach der Staatstheorie benötigt ein Staat drei Dinge: Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt. Dass ein wie auch immer geartetes Deutsches Reich Staatsgewalt hätte, ist schlicht falsch. Es gibt keine solchen Organe, die herrschaftliche Macht ausüben. Es gibt nur die Bundesrepublik. Die Konsequenz, dass die Bundesrepublik mit dem Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich zumindest teilweise identisch sein könnte, ist von keiner existenziellen Bedeutung. Es gilt das Grundgesetz.

Auch das Argument der "Reichsbürger", es mangele dem Grundgesetz an einem Geltungsbereich, ist hanebüchen. Schon die Präambel, die rechtlich zum Grundgesetz gehört, besagt, wo es gilt: in den Ländern der Grenzen von 1949 - und nicht von 1937, wie die rechtsextreme Bewegung glaubt. Ja, nach dem Völkerrecht benötigt ein Staat nicht einmal eine Verfassung. Anders als die Deutschen haben etwa die Briten gar keine.

(RP)
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