Steinmeier reist durch die islamische Welt Tunesien stoppt 9000 Dschihadisten

Marrakesch/Tunis · Zwei Wochen nach den Terroranschlägen in Paris reist Außenminister Steinmeier durch die islamische Welt. Im Gepäck hat er Verabredungen zu einer noch engeren Zusammenarbeit im Kampf gegen islamistische Gewalt.

 Außenminister Steinmeier bei einer Pressekonferenz in Tunis.

Außenminister Steinmeier bei einer Pressekonferenz in Tunis.

Foto: dpa, lus wst

Bärtige Männer lassen Schlangen nach ihrer Pfeife tanzen, Affen kleine Kunststücke aufführen, in wallenden Gewändern Schellen klingen und Trommeln dröhnen. Auf dem zentralen Altstadtmarktplatz Jemaa el-Fnaa" in Marrakesch ist das Werben um die Euros der Touristen in der Abenddämmerung intensiv und pittoresk.

Kaum einer achtet auf das dreigeschossige Café, an dem auch jetzt noch Arbeiter mit einer umfangreichen Grundsanierung beschäftigt sind. An dieser Stelle starben bei einem islamistischen Anschlag vor vier Jahren 17 Menschen, vor allem ausländische Touristen, 23 weitere wurden verletzt. Lange war es mit einer Plastikplane eingehüllt. Jetzt soll es wiederbelebt werden.

Doch damit sind die Spuren des islamistischen Terrors nicht getilgt. Wiewohl sich Marokko als islamisches Land an den Traditionen der Religion orientiert und islamistischen Bestrebungen den Kampf ansagt, wird ein großer Teil des Nachwuchses für Al-Qaida im Maghreb und den in der Nachbarschaft wütenden Islamischen Staat hier rekrutiert.

Die Zahl der gerade im Dschihad kämpfenden Marokkaner wird auf über tausend geschätzt. Grund genug für Außenminister Frank-Walter Steinmeier, zwei Wochen nach den islamistischen Terroranschlägen in Paris dem Islamismus im Islam auf den Grund zu gehen. Sein erster Gesprächspartner, der liberal-konservative Außenminister Salaheddine Mezour (61) macht es erkennbar zu schaffen, dass nach den Anschlägen in manchen Regionen sein Glauben unter einen Pauschalverdacht gerät:

"Der Islam darf keine stigmatisierte Religion werden", sagt er und bittet Steinmeier, mit ihm gemeinsam "gegen Missverständnisse anzukämpfen". So lasse sich das "Verhältnis zwischen Jugend und Religion besser begleiten". Der Satz ist kryptisch. Dahinter steckt die Sorge, dass angesichts gewaltiger Jugendarbeitslosigkeit noch mehr perspektivlose junge Männer den einfachen Heils- und Hasspredigten radikaler Salafisten auf den Leim gehen könnten.

Die arabischen Länder zeichnen sich durch einen Boom junger Menschen aus. Experten sagten schon vor dem arabischen Frühling voraus, dass sich diese vielen Millionen die Freiheit erkämpfen würden. Die Freiheit haben aber auch radikale islamische Gruppen genutzt, den Protest in ihre Bahnen zu lenken. Marokkos Strategie gegen den islamistischen Terror setzt nicht nur auf noch größere Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden. König Mohammed VI. nutzt auch seine Funktion als geistliches Oberhaupt, um die Ausbildung an den Koranschulen im Sinne eines aufgeklärten Islam zu beeinflussen.

Steinmeier auf Friedensmission in Kiew
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Weil sich nach einer Untersuchung deutlich mehr Dschihadisten aus dem Norden als aus dem Süden Marokkos auf den Weg machten, will die Regierung Aufbau- und Sozialprogramm in den nördlichen Provinzen forcieren. Ohnehin werden die Preise unter anderem von Grundnahrungsmitteln bereits mit Milliardenaufwand hinuntersubventioniert.

Wirtschaftliche Investitionen aus Deutschland, die neue Arbeitsplätze schaffen, sind ausbaufähig. Deshalb freuen sich die Gastgeber darüber, dass Steinmeier, nicht nur eine politische und kulturelle Delegation in seinem Regierungsflieger mit in den Maghreb genommen hat, sondern auch interessierte Chefs deutscher Firmen. Und doch hat der Außenminister auch das Angebot im Gepäck, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zu verstärken. "Ohne geht es nicht", betont der Minister. Ein Tag später, 1774 Kilometer weiter östlich, ist in Tunis der Kampf gegen den Terror ebenfalls eines der wichtigsten Themen.

So verhandelt Schwarz-Rot
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Der amtierende tunesische Außenminister Faycal Gouia macht auf Nachfrage klar, dass Mohammed-Karikaturen in europäischen Zeitungen "fast alle Muslims provoziert und beleidigt" hätten, dass das Töten von Karikaturisten aber nicht die richtige Antwort darauf sein, sondern es darum gehe, mit Worten eines ganz klar zu machen: "Meinungsfreiheit findet dort ihre Grenzen, wo Religionen verletzt werden". Mehr als tausend Islamisten sind auch aus Tunesien in den Dschihad gezogen. Für Gouia ist das jedoch "kein tunesisches, sondern ein globales Problem".

Und so müssten auch weltweit die Ursachen bekämpft werden. Die sieht er im Cyberterrorismus, in der Organisierten Kriminalität - alle diese "kriminellen Banden" arbeiteten daran, Jugendliche zu rekrutieren. Steinmeier mahnt, dass es "Opfer des islamistischen Terrors auf beiden Seiten des Mittelmeeres" gebe, in Tunesien genau so wie in Paris, und er ruft dazu auf, sich durch den Terror nicht auseinander dividieren zu lassen. Seine Überzeugung: "Der Terror hat keine Religion, er ist unser aller Feind, egal ob Muslime, Christen oder Juden."

Die tunesische Seite weist darauf hin, dass sie nicht untätig sei. Insgesamt hätten die Behörden inzwischen schon "9000 potenzielle Kämpfer" daran gehindert, Tunesien Richtung Irak und Syrien zu verlassen. Damit kommt die Frage der Grenzsicherung ins Spiel. Ob Deutschland den Tunesiern weitere Ausrüstung zur Verfügung stelle, also etwa Suchgeräte zum Aufspüren von Minen, durch die schon viele Menschen ums Leben gekommen seien, will ein tunesischer Journalist vom deutschen Außenminister wissen.

Steinmeier will aber so weit nicht in die Details gehen, erwähnt nur, dass Deutschland in der Folge früherer Besuche durchaus Hilfen zur Grenzsicherung geleistet habe, in Form zum Beispiel von Wärmebildgeräten. Längst beschäftigen sich seine Gedanken mit einem weiteren bedeutenden Machtfaktor der arabischen Welt.

Der Tod des saudischen Königs Abdullah zeigt sich auch im Stadtbild von Tunis: Alle Fahnen sind auf Halbmast. Und er bringt Steinmeiers Besuchsprogramm durcheinander. Präsident Beji Caid Essebi will Steinmeier schon früher treffen, da er zur Trauerfeier nach Riad muss. Weitere geplante Stationen von Steinmeiers Reise sind plötzlich ebenfalls unklar. Und das macht deutlich: Die Frage, wie der islamistische Terror bekämpft werden kann, wird auch in Saudi-Arabien beantwortet.

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