Mouhanad Khorchide Religionsunterricht als Zugang zur Gesellschaft

Ein Großteil der Flüchtlinge, die in den letzten Jahren zu uns nach Deutschland gekommen sind, sind Muslime, und ein Großteil von ihnen stammt aus arabischen Ländern. Die Frage nach der Einbindung dieser Flüchtlinge macht die Diskussion über die Vereinbarkeit des Islam mit demokratischen Grundwerten und mit dem Leben in einer pluralen Gesellschaft akuter als je zuvor. Weil der Islam keine Kirche und kein Lehramt kennt, gibt es eine Bandbreite an Verständnissen und Auslegungen des Islam. Muslime aus arabischen Ländern sind auch von den verschiedenen religiösen Diskursen in diesen Ländern geprägt. So treffen verschiedene Wertvorstellungen in Deutschland aufeinander.

Trotz dieses Wertepluralismus gibt es unverhandelbare Werte, die für uns alle gelten müssen, um für ein friedliches und konstruktives Miteinander in einer pluralen Gesellschaft zu sorgen. Dazu gehören vor allem Werte wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Bewahrung der Würde eines jeden Menschen, Toleranz und so weiter. Aus eigener Erfahrung in meiner Tätigkeit in der Ausbildung von Religionslehrkräften kann ich nur unterstreichen, dass gerade der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen jungen Menschen einen geeigneten Zugang bietet, sich kritisch mit ihren Religionen auseinanderzusetzen, um darüber zu reflektieren, welchen Lebensbezug Religion haben kann, welche modernen Zugänge es zum Verstehen der heiligen Bücher gibt und wie die Anhänger verschiedener Religionen und Weltanschauungen lernen können, sich in gegenseitigem Respekt und im Zeichen gegenseitiger Anerkennung zu begegnen.

Im Religionsunterricht haben die jungen Muslime die Möglichkeit, ihre Religion im Lichte des Zusammenlebens in einer modernen und pluralen Gesellschaft zu reflektieren und nach Antworten auf die neuen Herausforderungen zu suchen. Nur so können junge Menschen befähigt werden, ihre Religiosität selbst in die Hand zu nehmen und selbst zwischen menschenfreundlichen und menschenfeindlichen religiösen Angeboten zu unterscheiden. Dies setzt allerdings voraus, dass wir den jungen Flüchtlingen den Zugang zu unserem Bildungssystem erleichtern.

Mouhanad Khorchide (46), Professor für Islamische Religionspädagogik in Münster, ist einer der profiliertesten Vertreter eines liberalen Islam.

(RP)
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