Kolumne Politisch Inkorrekt Revolutionen sind ja schön und gut, aber . . .

Jeden Tag sehen wir im Fernsehen verstörende Bilder über die Gewalt in der ukrainischen Hauptstadt. Die Revolution fordert ihren Tribut, und wir alle sind fassungslos. Doch immer häufiger wabern auch abstruse Verschwörungstheorien durchs Netz.

Immer wieder diese schlimmen Bilder: brennende Barrikaden, aufgebrachte Menschenmassen, Gewalt, Blut, Tod. In der Ukraine ist eine Revolution im Gange, und wie sie enden wird, ist ungewiss. Wir haben Ähnliches schon anderswo gesehen — in Ägypten zum Beispiel, in Libyen und Tunesien. Vom "Arabischen Frühling" hat man da gesprochen, um bald feststellen zu müssen, dass vom Frühling nichts zu sehen und nur eine Düsternis durch eine neue abgelöst worden ist.

Der Deutsche findet Revolutionen ja erst einmal immer gut. Schon in der Schule musste ich an Tischen sitzen, die mit "Che - Why?"-Sinnsprüchen vollgeschmiert waren. Und bis heute laufen moderne junge Menschen hierzulande mit Shirts herum, die den Mörder und Folterer Guevara in heroischer Pose zeigen. Aber gut, es gibt auch Leute, die Bin-Laden- oder Charles-Manson-Shirts tragen. Sind Revolutionäre keine Kommunisten, dürfen sie hierzulande mit deutlich weniger Beifall rechnen. Ein klares Manko etwa der Herrschaften vom "Frühling" in Arabien war, dass sie vielfach Islamisten waren. Selbst dem einen oder anderen Kommentator in Deutschland fiel irgendwann auf, dass es nicht sonderlich überzeugend ist, einen Despoten aus dem Amt zu jagen, um anschließend ein neues repressives System auf Grundlage der Scharia neu errichten zu wollen.

Und nun die Ukraine. In den Augen vieler deutscher Beobachter daheim im gemütlichen Fernsehsessel ist eins unverzeihlich: Die Massen auf dem Maidan, die seit Wochen bei Minus-Temperaturen ausharren, sind pro-westlich. Sie wollen "zum Westen" gehören, zur EU sogar. Das ist mehr, als all die berufsmäßigen Nörgler begreifen können, die uns seit Jahren den bevorstehenden Zusammenbruch von Kapitalismus, Euro und Rentenversicherung prognostizieren. Und so blühen — neben niederträchtiger Häme für den Boxer Klitschko — die unsinnigsten Verschwörungstheorien im Internet. Die Nato-Staaten, so las ich gestern, stecken angeblich hinter den Gewaltorgien, die auch von einem Teil der Protestierer ausgehen. Einen Beleg für diese These bleiben die Verbreiter schuldig. Die Menschen, die ich kenne, und die in diesen Tagen direkten Kontakt in die Ukraine halten, erzählen etwas anderes: von Freunden und Verwandten in Kiew, die sich ein Ende von Misswirtschaft und Korruption in ihrem Land wünschen, das nicht länger ein Vasallenstaat Russlands bleiben soll. Die meisten Leute auf dem Maidan wollen einfach Freiheit und Wohlstand. So wie einst die Menschen in der DDR und im Rest Osteuropas. Wenigstens damals fanden wir das gut.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort