Berlin Ringen um Deutschlands neue Politik

Berlin · Entscheidende Runde der Jamaika-Sondierungen: Union, FDP und Grüne legen ein umfangreiches Konzept für eine Koalition vor, streiten aber bis zuletzt über Klimaschutz und Migration.

Als Grundvoraussetzung für eine erste Jamaika-Koalition im Bund haben Union, FDP und Grüne eine neue Politik im Land zur obersten Priorität erklärt. Stundenlang rangen die Unterhändler gestern in Berlin darum, ihre Sondierungen dafür mit der Einigung auf ein Konzept zu beenden und den Weg für Koalitionsverhandlungen frei zu machen. Am späten Abend gerieten die Gespräche aber in eine kritische Phase, weil die CSU keinerlei Kompromisse in der Migrationspolitik machen wollte. Dagegen gab es Annäherung in der Frage der Einhaltung der Klimaschutzziele durch Reduzierung der Kohleverstromung. Die Union bot nach Angaben aus Verhandlungskreisen ein Volumen von sieben Gigawatt an, die Grünen hatten acht bis zehn Gigawatt gefordert. Die Präambel für das 61 Seiten starke Sondierungspapier stand hingegen schon fest. Darin hieß es: "Wir sind durch das Wahlergebnis vor die Aufgabe gestellt, eine handlungsfähige und erfolgreiche Bundesregierung zu bilden." Ferner wurde betont: "Wir wollen aus unterschiedlichen Auffassungen neue und überzeugende Antworten gewinnen." Als finanzieller Spielraum für ein Bündnis in den nächsten vier Jahren wurden bis zu 45 Milliarden Euro errechnet. Sie würden im Falle einer Koalitionsbildung zum Teil für einen schrittweisen Abbau des Solidaritätszuschlags genutzt werden.

Zu den Streitthemen gehörte auch nach zwölfstündigen Beratungen die Frage, ob es eine konkrete Zahl als Richtgröße für die Aufnahme von Flüchtlingen geben soll und ob auch Flüchtlinge mit eingeschränktem (subsidiären) Schutz Familienangehörige nachholen dürfen. Das verlangten beharrlich die Grünen. Innerhalb der CSU tobe darüber ein Machtkampf, war am Rande der Verhandlungen zu hören: Während CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt für einen Kurs der Härte plädiere, scheine CSU-Chef Seehofer eher bereit, beim Familiennachzug nachzugeben.

Derzeit ist dieser Familiennachzug bis März 2018 ausgesetzt. Die FDP schlug Kontingente vor, die Teil eines angestrebten Richtwerts sein sollte. Die Union sprach weiterhin von 200.000 Menschen, die höchstens pro Jahr nach Deutschland kommen sollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel warb eindringlich um Kompromissbereitschaft. Es könne etwas sehr Wichtiges "in einer Zeit großer Polarisierung" entstehen. FDP-Chef Christian Lindner sprach von "Mut, Tatkraft und neuem Denken". Grünen Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt beteuerte, alle Unterhändler berieten, was das Beste für das Land sei.

Einig waren sich die Parteien, das Kindergeld im ersten Schritt um 25 Euro je Kind und den Kinderfreibetrag zu erhöhen. Das könnte schon Anfang 2018 passieren. Den Bund würde das 2,4 Milliarden Euro kosten, den Gesamtstaat rund 5,5 Milliarden. Der Kinderzuschlag soll automatisch ausgezahlt und der Auszahlungsbetrag erhöht werden, so dass er zusammen mit dem Kindergeld den Mindestbedarf nach Lebensalter garantiert. Als "konkrete Vorstellung" wurde dafür eine Summe von durchschnittlich 399 Euro festgehalten. Ferner sollen die Rechte der Kinder ins Grundgesetz aufgenommen werden.

Zu den bereits erzielten Ergebnissen zählten ferner ein Förderprogramm für den Austausch alter Heizungen gegen klimafreundlichere Heizsysteme unter Einbeziehung erneuerbarer Energien sowie eine degressive Abschreibung für Effizienzmaßnahmen in der Industrie und für CO2-arme Prozesse.

(kd/mar/qua)
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