Annegret Kramp-Karrenbauer "Sanktionen gegen unwillige EU-Staaten"

Die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer ist von Europa in der Flüchtlingskrise restlos enttäuscht. Sie fordert feste Quoten bei der Aufnahme von Flüchtlingen - notfalls auch mit Androhung von Strafen.

Die Flüchtlingskrise spaltet Europa. Wird die Uneinigkeit zum Sprengsatz in der EU?

Kramp-Karrenbauer Der Riss geht nicht nur durch die EU-Mitgliedstaaten, er geht auch durch alle europäischen Parteien, egal ob es sich um die Europäische Volkspartei oder die Sozialisten handelt. Das zeigt: Wir haben für diese Krise keine gemeinsame europäische Antwort. Für mich ist das eine brandgefährliche Situation.

Ist Europa eine Schönwetterveranstaltung?

Kramp-Karrenbauer Die Krise macht auf jeden Fall die Defizite im politischen Abstimmungsprozess und in der gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik deutlich. In der Euro-Krise haben wir schnell reagiert - mit Rettungsschirm, Troika und Anpassung der Regeln. Jetzt stehen wir vor einer fundamentalen humanitären Herausforderung und reagieren europaweit mit kleinlicher nationaler Politik.

Wo bleiben die europäischen Institutionen?

Kramp-Karrenbauer Ich sehe keine Initiativen, keine Koordinierung. Wir müssen aufpassen, dass keine schwerwiegende Vertrauenskrise der europäischen Institutionen ausgelöst wird.

Warum hilft nicht der deutsch-französische Motor?

Kramp-Karrenbauer Immerhin zeigt sich Frankreich nach einigem Zögern bereit, ein System mit festen verbindlichen Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen zu akzeptieren. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich ist ein wichtiger Schritt hin zu einer gemeinsamen europäischen Lösung.

Brauchen wir statt Einstimmigkeit eine Mehrheitsentscheidung in der EU für das Quotensystem?

Kramp-Karrenbauer Die feste Quote muss kommen. Wenn es nicht einstimmig geht, brauchen wir eine Mehrheitsentscheidung. Und die muss auch durchgesetzt werden.

Wie wollen Sie die unwilligen Partner dazu zwingen?

Kramp-Karrenbauer Ich plädiere für Sanktionen, die europarechtlich vereinbar sind. Denn wer kräftig aus Geldprogrammen der EU profitiert und sich dann weigert, auch einmal Lasten zu tragen, der darf seine Zuschussquote nicht zu 100 Prozent ausschöpfen. Die Finanzmittel sollten dann eingefroren werden, bis die Last erfüllt ist.

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge hat die Hilfsmittel für die vertriebenen Menschen in den Lagern im Libanon, in Jordanien und der Türkei gekürzt. Wie kann man gegensteuern, um weitere Millionenflucht zu verhindern?

Kramp-Karrenbauer Die Mittel wurden auf ein Drittel gekürzt. Das geht gar nicht. Nicht nur Deutschland ist gefragt, sondern ganz Europa.

Glauben Sie wirklich, dass die Menschen in den Lagern bleiben, wenn wir die Flüchtlingsmittel etwas erhöhen?

Kramp-Karrenbauer In der Türkei leben anderthalb Millionen Flüchtlinge auf der Straße, nur 500.000 haben einen anerkannten Status. Wir müssen deshalb den Menschen dort Perspektiven geben - in Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden. Dann werden manche weiterhin kommen, aber nicht mehr alle wie bisher.

Durch die Freizügigkeit in der EU können die Flüchtlinge weiterziehen, wenn sie irgendwo nicht anerkannt werden.

Kramp-Karrenbauer Deshalb brauchen wir ein europaweites Erkennungssystem. Dann ist ein solcher Missbrauch ausgeschlossen.

Nach einer Studie des Ifo-Instituts haben die Flüchtlinge oft falsche oder nicht ausreichende Qualifikationen.

Kramp-Karrenbauer Das ist ein Problem. Ich habe es deshalb für fahrlässig gehalten, dass die Wirtschaft pauschal erklärt hat, die Flüchtlinge lösen unser Facharbeiterproblem. Wir brauchen Sprach- und Qualifikationskurse. Und am besten bietet das künftig die Arbeitsagentur an. Deren Chef ist ja jetzt auch für das Bundesamt für Flüchtlinge zuständig.

Wie wollen Sie die gewaltigen Kosten insgesamt managen?

Kramp-Karrenbauer Wir müssen differenzieren. Erstens: Es gibt einen Bereich für die Soforthilfe, also Erstaufnahme, Asylverfahren, Sprach- und Qualifikationskurse. In diesem Bereich muss schnell geholfen werden, ohne mit aufwendiger Bürokratie Zeit zu verlieren. Das lösen wir am besten, indem wir eine Pauschale für jeden Flüchtling festlegen.

Reicht das?

Kramp-Karrenbauer Das reicht natürlich nicht. Denn zweitens: Alle Kosten der Integration, die Einstellung neuer Lehrer und der Aufbau neuer Klassen - das sind Aufwendungen, die weit über die Erstaufnahme hinausgehen. Darüber müssen die Bundesländer mit dem Bund sprechen auch im Rahmen der Bund-Länder-Finanzgespräche.

Können Sie uns eine Zahl nennen?

Kramp-Karrenbauer Das werden die Verhandlungen dann ergeben.

MARTIN KESSLER FASSTE DAS INTERVIEW ZUSAMMEN.

(RP)
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