Bagdad Satire im Irak ist lebensgefährlich

Bagdad · Irakische Karikaturisten haben noch nie völlig frei arbeiten können. Auf die Diktatur Saddam Husseins folgte religiöser Fanatismus.

Abdul Raheem Yassir erinnert sich an das Jahr 2007. "Damals wollte ich sterben. Ich wollte in Bagdad sterben, mit dem Bleistift in der Hand", sagt der Karikaturist. Es war die Zeit, als der Bürgerkrieg in Iraks Hauptstadt tobte, als Nachbarn sich gegenseitig umbrachten, das Blut auf den Straßen in Strömen floss. Doch Yassir überlebte und zeichnete weiter. "Meine Familie war in Syrien, meine Freunde und Kollegen verließen den Irak. Ich war alleine." Seine wohl persönlichste Karikatur aus jenen Tagen zeigt einen Mann mit einer irakischen Fahne in der Hand. Die Menschen drehen ihm den Rücken zu und laufen weg. Sunniten gegen Schiiten und umgekehrt: "Es war die schlimmste Zeit meines Lebens."

Egal, was er zeichnete, egal was er und andere Kollgen produzierten. Immer eckten sie an, immer passte es jemandem nicht. Yassir begann Kinderbücher zu illustrieren. Doch kaum dass die blutigen Jahre des gegenseitigen Abschlachtens vorbei waren, kam die Terrormiliz des Islamischen Staates (IS).

Sein kleines Haus im Bagdader Bezirk Zayouna ist Yassir zum Refugium geworden. Hier fühlt sich der Karikaturist geborgen, hier entwickelt er seine Cartoons, ersinnt neue Ideen, um die Situation im Irak und weltweit auf Papier zu bringen. Abdul Raheem Yassir ist einer der bedeutendsten Karikaturisten im heutigen Irak. Er zeichnet täglich für Iraks größte Tageszeitung "Al Sabah" (Der Morgen) und ist viel gefragt auch bei anderen Medien. "Die Rolle der Karikaturisten im Irak ist jetzt stärker als je zuvor", beschreibt er die Entwicklung der letzten Jahre. "Die Menschen suchen immer mehr nach Karikaturen." Doch ein so ätzendes und despektierliches Satire-Magazin wie das französische "Charlie Hebdo" gibt es im Irak nicht. "Wir waren noch nie Charlie und werden es auch niemals sein", sagt Yassir.

Aus Solidarität mit den Kollegen in Paris nach dem blutigen Terroranschlag vom Januar 2015 hätten er und die Kulturschaffenden in Bagdad Gedenkminuten eingelegt. Und auch die Zeitungen im Irak seien voll mit Sympathiebekundungen gewesen. Es habe viele Diskussionen gegeben, und das Wort "Horaya" - arabisch für Freiheit - habe die Runde gemacht. Presse- und Meinungsfreiheit wurden thematisiert und als Werte definiert, für die es auch im von Diktatur und Terror geprägten Irak zu kämpfen gelte. "Ich persönlich finde die Karikaturen von Charlie Hebdo aber nicht herausragend. Die Welt kann nicht in Schwarz und Weiß aufgeteilt werden, so wie sie es tun."

Yassir führt die Besucher in sein Arbeitszimmer. Das erste Treffen der Karikaturisten im Irak fand hier in seinem Haus statt, vor genau 40 Jahren. Yassir zeigt Fotos von damals. Heute ist er 64 Jahre alt, Haare und Schnauzer sind ergraut, und von den sieben Karikaturisten vom ersten Treffen sind nur zwei noch im Irak. Die anderen haben das Land verlassen, einer ist gestorben. "Unter Saddam Hussein durften wir nicht den Präsidenten zeichnen, jetzt sind die religiösen Fanatiker hinter uns her." Wenn er den Schleier aufs Korn nähme, müsse er im gleichen Atemzug auch die westliche Freizügigkeit kritisieren. Sich über den Islam als Religion auszulassen, ginge gar nicht. "Aber viele Iraker sind der Meinung, dass auch Kritik an Jesus und dem Christentum nicht zulässig ist."

Ahmed al Rubaie, der für die Zeitung Al Sabah al-Jedeed (Der neue Morgen) arbeitete, hat dem Druck nicht standgehalten. Er starb an einem Herzinfarkt, nachdem er ständig bedroht wurde. "Die Angst hat ihn umgebracht." Wer nicht unter Druck geraten wolle, könne nicht publizieren. "Ich habe immer zweideutig gezeichnet", gibt Yassir seine Überlebensstrategie preis. Aus der Saddam-Zeit habe er gelernt, offene Interpretationen zuzulassen.

Humor und Satire sind noch immer eine Gratwanderung in der gesellschaftlichen Entwicklung seines Landes. Inzwischen, sagt der Karikaturist, könnten Künstler wie er in Bagdad frei arbeiten. Eine staatliche Zensur wie früher unter Saddam gibt es nicht mehr. "Ich kann die Regierung kritisieren, wie ich will, den Staatspräsidenten, den Premierminister." Von dieser Seite hätten sie momentan nichts zu befürchten. Auch die Gesellschaft würde sich mehr und mehr öffnen. Durch die neuen Medien und das Internet verbreite sich langsam aber beständig die Einsicht, dass nicht nur eine Meinung Gültigkeit habe. Doch das gelte nicht für die immr zahlreicheren Extremisten. Vor allem der IS mache ihm große Sorgen. "Früher hatten wir Angst vor der Regierung, heute haben wir Angst, dass die Regierung uns nicht vor den Extremisten schützen kann."

In Kurdistan sei dies anders, berichtet Yassir über die Situation der Kollegen im Nordirak. Dort herrsche ein regelrechter Krieg zwischen den Karikaturisten und der kurdischen Regionalregierung in Erbil. Die Zeichner würden ständig überwacht. In Bagdad hätten kürzlich sogar Demonstrationen für die Pressefreiheit in Kurdistan stattgefunden. "Natürlich hat uns der Anschlag auf ,Charlie Hebdo' in Paris schockiert", sagt der Journalist Asos Hardi. "Aber für uns ist das Alltag, wir erleben so etwas täglich." Seine Wochenzeitung "Awene" (Der Spiegel) hat erheblich zu kämpfen. Mit nur 4000 Exemplaren wöchentlich schlingert das Blatt am wirtschaftlichen Existenzminimum.

Aber nicht nur das finanzielle Überleben lässt den Herausgeber nachts nicht schlafen, sondern vor allem die politische Situation in irakischen Kurdistan. Ein unabhängiger Journalismus ist inzwischen fast unmöglich. Schreiben die Reporter etwas, was "den Oberen" nicht gefällt, werden sie mit Drohanrufen bombardiert. Er selbst wurde für regierungskritische Artikel schon mehrere Male inhaftiert, musste viel Geld für seine Freilassung bezahlen. "Gute Karikaturisten bekommen wir keine mehr", klagt Hardi, "die haben entweder aufgegeben oder die Schere im Kopf."

Das Satire-Magazin "Sichurma", das in den Zeiten der Liberalisierung durch die beiden Kurdenparteien KDP und PUK vor zehn Jahren entstand, hat sein Erscheinen inzwischen eingestellt. "Wem haben die Karikaturen genutzt?", fragt Asos Hardi resigniert und gibt gleich selbst die Antwort: "Sie haben dem Radikalismus genutzt." So wurde einer seiner Korrespondenten, der auch Zeichnungen anfertigte, 2013 auf offener Straße vor seinem Haus erschossen. Kawa Garmyane hatte mehrere Berichte über Korruption unter kurdischen Politikern veröffentlicht. Drei Tage vor seinem Tod hatte der Journalist auf Facebook eine weitere Enthüllung angekündigt. Sardasht Osman, der ebenfalls für "Awene" schrieb, hatte zwei Jahre zuvor ein noch grausameres Schicksal ereilt. Nachdem er sich im Internet über Kurdenführer Massud Barsani lustig gemacht hatte, wurde er verschleppt. Nach zwei Tagen wurde er mit Folterspuren tot in der Nähe von Mossul aufgefunden.

(RP)
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