Hans Michael Piper "Schavan hat ein Recht auf ein sorgfältiges Verfahren"

Düsseldorfs Universitäts-Rektor weist Kritik am Plagiatsverfahren gegen Bundesforschungsministerin Annette Schavan zurück.

Professor Piper, was ist ein Plagiat?

Piper Ein Plagiat ist die Übernahme eines Textstückes in eine wissenschaftliche Arbeit, für die die geistige Urheberschaft nicht kenntlich gemacht wird.

Haben Sie Erkenntnisse, dass die Bundesforschungsministerin Annette Schavan als Doktorandin der Heinrich-Heine-Universität ein Plagiat als Doktorarbeit eingereicht hat?

Piper Ich persönlich bin kein Mitglied der Gremien, die an der Heinrich-Heine-Universität genau dieser Frage nachgehen müssen. Aber als Rektor ist es meine Aufgabe, über das Verfahren zu informieren, zumal es anscheinend viele Missverständnisse gibt. Das Verfahren liegt in den Händen der Philosophischen Fakultät. Dort wird wahrscheinlich nicht der Frage nachgegangen, ob die gesamte Arbeit ein Plagiat ist, sondern, ob einzelne, und zwar wesentliche, Anteile dieser Schrift nicht in ihrer Urheberschaft angemessen ausgezeichnet wurden.

Die Doktorarbeit hat einen Umfang von 351 Seiten. Warum braucht die Universität sechs Monate, um die Vorwürfe zu prüfen und zu einem Urteil zu kommen?

Piper Gerade bei so gewichtigen Verfahren – wobei das Verfahren aus Sicht der Universität wichtig ist, weil es hier um die mögliche Zurücknahme einer Titelverleihung geht und nicht, weil es sich um eine Politikerin handelt – gilt es, mit großer Sorgfalt vorzugehen. Es ist, an akademischen Maßstäben gemessen, kein besonders langes Verfahren, wenn Sie bedenken, dass es hier um die Prüfung einer Vielzahl von Materialien geht. So etwas macht man nicht mal eben im Internet und natürlich mit dem Blick auf damalige Bedingungen und Standards. Frau Schavan hat ein Recht auf ein sorgfältiges Verfahren.

Der Verfasser der Erstbeurteilung für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens, Professor Stefan Rohrbacher, ist zu dem Eindruck gekommen, dass Frau Schavan mit einer "leitenden Täuschungsabsicht" gehandelt habe. Wie viel Spielraum bleibt der Prüfungskommission und dem Fakultätsrat, wenn es ein solches gewichtiges Urteil gibt?

Piper Aus dem 75 Seiten starken Bericht von Professor Rohrbacher sind, soviel ich weiß, zwei Sätze aus dem Zusammenhang heraus zitiert worden. Entscheidend ist aber, was auf den vielen Seiten dieses Berichts ausführlich tatsächlich an Fakten vorgestellt worden ist. Der Text von Frau Schavan ist minutiös Seite für Seite, Zeile für Zeile analysiert worden. Es sind akribische Textvergleiche, die dort angestellt werden. Die Promotionskommission hat das Ganze nachher gemeinsam zu bewerten.

Herrn Rohrbacher wird vorgeworfen, dass er nicht Zeit und Umstand der Arbeit, die vor 32 Jahren in den Erziehungswissenschaften geschrieben wurde, zur Grundlage seiner Analyse gemacht hat. Er sei ein Wortklauber. Haben Sie auch diesen Eindruck?

Piper Herr Rohrbacher arbeitet wissenschaftlich redlich und berücksichtigt die auch zum Erstellungszeitpunkt gültigen Regeln. Dies ist ein zentrales Element in seiner Analyse. Und wenn es Wortklauberei ist, dass man Texte sorgfältig auf ihre Urheberschaft analysiert, dann ist Wortklauberei eben gute wissenschaftliche Praxis. Es ist völlig klar, dass vor 30 Jahren in allen wissenschaftlichen Disziplinen der akademischen Welt galt, dass man Texte anderer nicht als eigene ausgeben kann. Daran hat sich nichts geändert.

Der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Wolfgang Frühwald, hat die Dissertation gelesen und lediglich "handwerkliche Fehler" entdeckt. Das wäre ein großer Unterschied zu dem Ergebnis Ihres Gutachters.

Piper Herr Frühwald ist als Meinungsträger für mich erkennbar geworden, aber nicht als jemand, der an dieser Stelle eine wissenschaftliche Analyse dieser Arbeit durchgeführt hat. Das gilt auch für manch anderen prominenten Vertreter, der sich öffentlich geäußert hat. Sie haben alle nicht den Text analysiert. Es müssen faktische Beweise dafür dargelegt werden, dass in dem Text Fremdübernahmen nicht kenntlich gemacht werden oder dass der Text eben keine Fremdübernahmen enthält. Genau das ist die Aufgabe der Kommission. Wenn der Text Fremdübernahmen ohne Kennzeichnung enthält, gibt es dafür vielleicht Gründe. Ein Grund könnte sein, dass es sich hier und da um einen Flüchtigkeitsfehler handelt, der jedem Wissenschaftler unterlaufen kann. Ich habe in den öffentlichen Stellungnahmen dazu nichts gelesen. Solche generellen Aussagen kann man nicht ernsthaft bewerten.

Die Ministerin ließ verlauten, sie habe inzwischen ihre Stellungnahme der Kommission zugänglich gemacht und ein Gegengutachten erstellen lassen. Häufig zu hören ist auch die Forderung nach einem Zweitgutachter. Warum ist das nicht geschehen?

Piper Ich bin sicher, dass die Philosophische Fakultät Expertisen, die von Frau Schavan jetzt beigebracht werden und die vielleicht einen anderen oder neuen Blick auf ihre Arbeit werfen, bewerten wird. Es geht um eine einfache Frage: Stammen die Texte von der Autorin selbst? Oder stammen sie von anderen, sind aber nicht ausreichend gekennzeichnet? Man muss im Übrigen kein Erziehungswissenschaftler sein, um das zu erkennen, und alle ernsthaften Plagiatsforscher bewundern ja die Sorgfalt, mit der Professor Rohrbacher in Abstimmung mit den anderen Professoren in der Kommission gearbeitet hat. Dann kommt eine zweite Frage hinzu: Handelt es sich um eine absichtlich erkennbare Häufung von solchen Fällen oder um einzelne Flüchtigkeiten? Und wenn Expertisen, die Frau Professor Schavan nun beibringt, der Aufklärung dieser Fragen helfen, dann ist das für die Kommission sicherlich hilfreich.

Ist es nach der Vorveröffentlichung des Berichts überhaupt noch möglich, ein ordnungsgemäßes und unvoreingenommenes Verfahren zu führen?

Piper Das Wort Veröffentlichung unterstellt, dass es jemand und insbesondere die Universität veröffentlicht hat. Das ist falsch. Ein Dokument ist uns gestohlen worden, und wir wissen nicht einmal, in welchem Umfang. Was wir wissen: Der Bericht ist im "Spiegel" und anderen Medien zitiert worden. Es handelt sich um zwei oder drei Zeilen eines 75-seitigen Berichts, mit dem die Kommission arbeitet. Ich kann nicht erkennen, wie daraus eine Befangenheit resultieren sollte. Und es gab auch noch keine ernst zu nehmende juristische Stimme, die das begründet gefordert hätte.

Was ist aus Ihrer Strafanzeige gegen Unbekannt geworden?

Piper Die Staatsanwaltschaft hat uns dazu eine Reihe von Fragen gestellt, insbesondere über den Kreis derjenigen, die möglicherweise Zugang zu dem Text hatten. Alles Notwendige haben wir kurzfristig der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt, denn wir haben natürlich großes Interesse an der Aufklärung.

Es gibt die Vermutung, Sie hätten noch nicht einmal die Namen der Staatsanwaltschaft übermittelt und damit das Verfahren nicht unbedingt beschleunigt.

Piper Erstens ist das falsch, und zweitens weiß ich nicht, was das mit dem eigentlichen Verfahren zu tun hätte. Das ist ein verletzender und absurder Vorwurf, dass es eine Absicht der Universität sein könnte, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Wem sollte es denn auch nützen? Das gilt auch für das gestohlene Dokument: Der Universität hat jedenfalls diese Veröffentlichung nicht genützt, um das einmal klarzustellen. Und warum wir uns dafür entschuldigen müssen, dass uns trotz erheblicher Sorgfalt etwas gestohlen worden ist, ist eine Verdrehung der Tatsachen, die schwer verständlich ist. Auf jeden Fall verwahre ich mich dagegen, dass wir gleich zweimal geschädigt werden: Erst wird der Universität eine vertrauliche Arbeitsunterlage gestohlen, und es wird mit Bruchstücken daraus in der Öffentlichkeit hantiert, dann sehen wir uns noch den von Ihnen genannten Unterstellungen ausgesetzt. Das ist schon ein starkes Stück!

Ziehen Sie trotzdem Lehren aus dem aktuellen Fall und der Weitergabe des Sachstandsberichts?

Piper Der Fall Schavan ist für die Öffentlichkeit ein besonderer Fall, weil die junge Wissenschaftlerin in den letzten Jahrzehnten eine bemerkenswerte Karriere gemacht hat. Sie ist eine hervorgehobene Person des deutschen Wissenschaftslebens als Bundesministerin für Bildung und Forschung geworden. Doch im Verfahren darf es nicht um die Bewertung der Verdienste der jetzigen Bundesministerin gehen, sondern um die Frage, wie die junge Wissenschaftlerin vor 32 Jahren ihre Doktorarbeit geschrieben hat. Es geht um die damalige Doktorandin, nicht die heutige Ministerin.

Haben Sie sich bei der Ministerin persönlich entschuldigt? Oder war Ihre Aussage in der Pressekonferenz die Entschuldigung?

Piper Ich habe den Weg gewählt, unser Bedauern, unsere Verurteilung dieses Diebstahls in einer Form auszudrücken, die es dem größtmöglichen Adressatenkreis bekannt macht, also zum Beispiel in der "Tagesschau". Das war mir ein Anliegen, weil ich die entstandene Situation auch persönlich bedauere. Denn natürlich wäre es für Frau Schavan, die Kollegen im Promotionsausschuss und in der Fakultät wie für die gesamte Universität besser gewesen, wenn nicht jemand mit krimineller Energie eine vertrauliche Unterlage zur Veröffentlichung gebracht hätte, noch bevor diese überhaupt bewertet werden konnte. Um das auch noch einmal deutlich zu sagen: Ich halte Frau Schavan in ihrer heutigen Funktion für eine hervorragende Ministerin, mit der die Universität Düsseldorf auch mehrfach sehr gut zusammengearbeitet hat. Das ändert aber nichts daran, dass es für die Fakultät unausweichlich ist, diesen Weg der Überprüfung weiter zu gehen. Das Recht, auch Fakultätsrecht, gilt ohne Ansehen der Person. Alles andere wäre inakzeptabel.

Welche Möglichkeiten bestehen bei diesem Verfahren? Wie kann es ausgehen? Wer entscheidet?

Piper Das zuständige Gremium ist der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät. Er muss darüber entscheiden, ob die Verleihung des Doktorgrades zurückgenommen werden muss. Diese Entscheidung kann auf Grundlage einer Zusammenstellung der Fakten in einem Bericht und einer Empfehlung getroffen werden, den die beratende Promotionskommission dem Dekan vorlegt. Aus dem Bericht muss der Dekan entnehmen können, dass es hinlängliche Gründe gibt, den Fakultätsrat damit zu beschäftigen. Dann muss der Fakultätsrat den Bericht sorgfältig prüfen. Er könnte sich auch weitere Meinungen einholen, wenn er es für nötig hält. Am Ende muss er dann die Frage stellen, ob es seiner Ansicht nach entscheidende Anteile in der Arbeit gibt, die Plagiate enthalten. Er muss prüfen, ob der Umfang und die Schwere bedingen, dass ein Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels eingeleitet werden muss. Oder ob es sich mehr um Stellen mit Irrtumscharakter handelt.

Der Ermessensspielraum des Fakultätsrates ist also relativ groß. Er könnte sich dafür aussprechen, den Doktortitel zurückzunehmen. Gibt es einen Zwischenweg, eine Rüge?

Piper Wenn die Prüfung ergibt, dass es sich bei der Arbeit nach Meinung der Fakultätsratmitglieder um ein Plagiat handelt, ist das eine Faktenfeststellung. Dann gibt es noch einen Ermessensspielraum, ob darauf die Sanktion eines Titelentzugs folgt.

Wie würden Sie den Schaden beschreiben, den die Universität in diesem Verfahren genommen hat?

Piper Natürlich ist das Verfahren mit einer enormen Belastung verbunden. Aber es gehört zu den Aufgaben, die eine Universität erledigen muss. Einen bleibenden Schaden sähe ich jedoch nur dann, wenn die Universität dieses Verfahren nicht sorgfältig durchführte. Wenn man den verschiedenen öffentlich geäußerten Vorschlägen von Außenstehenden folgte, würde es genau darauf hinauslaufen, dass man dieses Verfahren nicht mit Ernst und Sorgfalt durchführt. Eine Lex Schavan wird es in diesem Fall nicht geben. Wir können doch nicht die Regeln ändern, nur weil es sich um eine sehr verdiente Ministerin handelt. Es bleibt dabei: Die Universität fühlt sich allein den Maximen der guten wissenschaftlichen Praxis verpflichtet! Sonst würde keiner unserer 23 000 Studierenden verstehen, warum seine Arbeit nach offensichtlich anderen Kriterien beurteilt wird als die einer Ministerin. Da sind wir übrigens in allen Gremien der Universität einig, auch mit den Studierenden!

Haben Sie sich geprüft, ob Sie Fehler gemacht haben?

Piper Aber klar doch! Keiner ist doch frei von Fehlern. Wir haben das gesamte Verfahren von vornherein durch unser hochschulinternes Justiziariat begleitet. Wir haben auch zusätzliche Expertise von Externen eingeholt, die mit solchen Themen vertraut sind. Sie bestätigen, dass unser Verfahren absolut korrekt abläuft. Ich kenne keine juristische Stimme, die etwas anderes sagt. Ich will aber eins gern anerkennen: In der öffentlichen Darstellung ist es nicht so einfach, hierzu den richtigen Ton zu treffen. In der Öffentlichkeit gibt es ja eine ganze Bandbreite von Gefühlen für die Betroffene. Wir müssen aber als Universität deutlich machen, dass es nicht um Sympathie oder Antipathie gegenüber der heutigen Ministerin geht, sondern um die Sachprüfung der wissenschaftlichen Korrektheit einer Arbeit. Das ist nicht einfach zu vermitteln. Und hätte sicher besser laufen können, als dass wir vor sechs Wochen zwei Tage lang um die richtigen Worte gerungen haben.

Die Ministerin hat eine Welle der Solidarität aus der Wissenschaft und Politik erfahren, die Universität nicht. Wie erklären Sie sich das?

Piper Die Öffentlichkeit interessiert sich nicht für die junge Wissenschaftlerin, sondern für die verdiente Ministerin. Deshalb ist der größte Teil der öffentlichen Diskussion durch politische Fragen geprägt. Die sind in diesem Verfahren völlig unerheblich. Hier geht es um Wissenschaft, nicht um Politik. Wissenschaftsorganisationen bestätigen die Richtigkeit unseres Verfahrens. Der Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der sich mit Plagiatsfällen und wissenschaftlichem Fehlverhalten beschäftigt, bestätigt die Korrektheit unseres Verfahrens. Ebenso der Tag der Philosophischen Fakultäten und der Deutsche Hochschulverband. Auch Universität und Fakultät haben viel Solidarität erfahren, insbesondere aus Düsseldorf. Wir sind sehr dankbar dafür.

Hatten Sie während des Verfahrens jemals Momente, in denen Ihnen das Amt des Rektors oder die deutsche Wissenschaft keinen Spaß gemacht haben?

Piper Es gibt Dinge, die angenehmer sind, und Dinge, die es weniger sind. Insgesamt ist die Düsseldorfer Universität auf einem hervorragenden Kurs. Wir haben in letzter Zeit wichtige Erfolge wie bei der Exzellenzinitiative eingefahren, von denen Forschung, Lehre und Studierende für viele Jahre profitieren. Ich will ausdrücklich sagen: Dafür haben die Angehörigen der Universität, die Forscher, die Lehrenden, die Mitarbeiter in der Verwaltung und die Studierenden großen Dank verdient. Die Diskussionen um dieses Verfahren ziehen für wenige Wochen große Aufmerksamkeit auf sich und gehören bald schon zur Geschichte dieser Universität.

(RP)
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