Wien Schlagkräftige Opposition gesucht

Wien · Der Rechtsrutsch nach der Wahl im Oktober wird Österreich stärker polarisieren als elf Jahre rot-schwarze Koalition. Nun ist das neue Parlament zur ersten Sitzung zusammengekommen.

In den nächsten fünf Jahren bilden in Österreich zwei Rechtsparteien - die konservative Volkspartei (ÖVP) und die rechten Freiheitlichen (FPÖ) - mit zusammen 113 von 183 Sitzen rechnerisch eine sichere Mehrheit. Die Koalitionsverhandlungen stecken noch in den Anfängen, doch spätestens Mitte Dezember soll die neue schwarz-blaue Regierung stehen.

Die geschlagenen Sozialdemokraten (SPÖ), 52 Sitze, landen nach elf Regierungsjahren wieder auf der Oppositionsbank, die sie mit zwei Kleinparteien teilen - mit der wirtschaftsliberalen Neos (10) und der von den Grünen abgespaltenen "Liste Pilz" (8). Die Ökopartei selbst findet sich erstmals nach 30 Jahren außerhalb des neuen Parlaments, in dem jetzt fünf Parteien vertreten sind. Fast die Hälfte der Abgeordneten sind Neulinge.

Nach der neuen Machtverteilung müsste die künftige Regierung die Opposition nicht fürchten. Sebastian Kurz, der mit 31 Jahren der jüngste Regierungschef Europas sein wird, lässt es denn auch an Machtbewusstsein nicht fehlen: Bereits seine ersten Personalentscheidungen liefern eine Kostprobe seines absolutistisch anmutenden Anspruchs, "ein Bundeskanzler muss führen können".

So opferte Kurz den hoch anerkannten Vorarlberger Karlheinz Kopf, bislang einer der drei Präsidenten, für seine enge Vertraute und Regisseurin seines erfolgreichen Wahlkampfs. SPÖ und Neos monieren, mit Elisabeth Köstinger werde eine Politikerin, die noch keinen Tag dem Nationalrat angehört habe, gleich zu dessen Präsidentin gemacht. Parlamentarische Erfahrungen sammelte die aus Kärnten stammende Agrarexpertin allerdings im Europaparlament, dem sie seit 2009 als Abgeordnete angehört. Zudem bezichtigt die Opposition den künftigen Kanzler der Geringschätzung des Parlaments, wenn er Köstinger dort lediglich vorübergehend platzieren wolle, bis er für sie einen Ministerposten gefunden habe.

Auch die Medien kritisieren Kurz: "Die Nationalratspräsidentin wird vom Nationalrat gewählt und nicht vom ÖVP-Parteiobmann ernannt", schreibt ein Kommentator. Kurz verteidigte gestern die Personalie Köstinger: "Die Elli ist eine starke Frau mit hoher Kompetenz."

Für eine nicht unwesentliche Klimaveränderung im neuen Parlament sorgt auch die FPÖ. Nicht nur, weil die "Blauen" nach elf Jahren wieder mitregieren: 20 ihrer 51 Abgeordneten sind Mitglieder von teils radikalen, deutschnational-völkischen bis neonazistisch gesinnten Burschenschaften; 1999 waren es derer nur neun. Die "stille Machtergreifung" der Korporierten, so der Fachbuchautor Hans-Henning Scharsach, sei die Folge des Wechsels an der FPÖ-Spitze von Jörg Haider zu Heinz-Christian Strache vor 13 Jahren. Strache ist selbst Mitglied einer Burschenschaft namens "Vandalia".

Vor allem Menschenrechtsorganisationen wie SOS-Mitmensch und die Jüdische Gemeinde in Wien kritisieren, dass in Österreich nach wie vor ein Mann mit neonazistischer Vergangenheit wie Strache Vizekanzler und Innenminister werden könne. Diesmal liegt es namentlich an Kurz, der keinerlei Berührungsängste mit den Rechten kennt. Gegner und Kritiker der kommenden schwarz-blauen Regierung bedauern, dass im neuen Parlament eine schlagkräftige Opposition fehlen werde. Die machtverwöhnte SPÖ wird sich nur mühsam an die neue Rolle gewöhnen. Die Führungsdebatte wurde erst einmal eingedämmt, schwelt aber weiter.

Bis auf Weiteres bleibt Christian Kern Parteichef und übernimmt auch die Führung der Fraktion. Der ehemalige Bahnchef, der als neuer SPÖ-Hoffnungsträger am Wähler gescheitert ist, bleibt optimistisch: "Wir haben gute Chancen, in fünf Jahren zurückzukehren", hofft Kern in einem Interview. Spätestens im Dezember, wenn die Koalitionsverhandlungen beendet sein sollen, wird er als Kanzler mit der bislang kürzesten Amtszeit, 19 Monate, in die Geschichte Österreichs eingehen.

(RP)
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