Kolumne Berliner Republik Schneller, höher, breiter?

Die Crystal-Meth-Affäre des Politikers Michael Hartmann lenkt den Blick auf die Frage, ob Berlin ein Pfuhl aus Suff und Drogen ist. Abstinent ist der Politikbetrieb zwar nicht. Aber auch keine Alkoholikerveranstaltung.

Das ist der SPD-Politiker Michael Hartmann
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Wenn man vor Jahren das Büro des FDP-Bundestagsabgeordneten Detlef Kleinert betrat, es war noch nicht Mittag, da begrüßte der lebensfrohe Politiker seine Gäste gerne mit der Frage: "Jetzt erst mal einen Kreislauftee, einverstanden?" Kurz darauf machte es "Plopp" - trocken wie der Sekt, den Kleinert dann ausschenkte. Kleinert war im Plenum berühmt-berüchtigt für seinen mehrfach hypotaktischen Satzbau, den er normalerweise in Kleist'scher Manier unfallfrei zu Ende brachte. Nicht so am 23. November 1994. Da lallte sich Kleinert durch seine Rede, und die Abgeordneten wussten nicht recht, ob sie lachen oder peinlich berührt sein sollten. Joschka Fischer nannte den Liberalen fortan den "schwankenden Teil der Koalition".

Der Grüne Fischer war es auch, der zu seinem Einzug in den Bundestag 1983 feststellte: "Der Bundestag ist eine unglaubliche Alkoholikerversammlung, die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt." An solche Sätze muss man wieder denken, wenn der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann zugeben muss, die Modedroge Crystal Meth konsumiert zu haben, um besser durchhalten zu können. "Schneller, höher, breiter", überschrieb die "Zeit" einen Artikel, der Bezug nahm auf den Fall und die Frage, ob Suff und Drogen im Zentrum der Macht tatsächlich verbreiteter sind als anderswo.

Der Fall Hartmann ist spektakulär und stimmt im Unterschied zur Revolverpistole eines inzwischen verschwundenen Magazins, das einst Koksspuren auf den Toiletten des Bundestages gefunden haben wollte. Was auch stimmt: Abstinent ist der Politikbetrieb nicht. Es fließt Alkohol. Aber eine Alkoholikerversammlung ist der Bundestag nicht.

Was Crystal Meth aus Menschen macht
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Foto: dpa

Ansonsten sollte man den Fall Hartmann (und den des SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy) nicht als Beleg nehmen, dass das politische Berlin ein Pfuhl aus Sex, Suff und Drogen sei, vor lauter Stress nicht auszuhalten ohne Aufputschmittel oder andere Ventile. Karl Lauterbach, Parteifreund der beiden und Mediziner von Beruf, sieht das ganz anders. "Seien wir ehrlich", sagt er in einem aktuellen "Cicero"-Interview: "90 Prozent aller Politiker sind keine Spitzenpolitiker" und seien damit auch keinem besonderen Stress ausgesetzt. Jeder Spitzenmanager habe mehr Stress, und jeder Unfallchirurg sowieso.

Der Unterschied ist: Politiker stehen permanent unter Beobachtung. Also fallen auch Verfehlungen sofort auf. Wie Kleinerts Aufritt. Oder Gerhard Schröders legendärer Einsatz in der Elefantenrunde nach der verlorenen Bundestagswahl 2005.

"Breaking Bad, Herr Hartmann?"
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Foto: dpa, fve lre

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des Magazins "Cicero" und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation mit "Cicero". Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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