Dortmund Schröder macht der SPD Mut

Dortmund · Der Altbundeskanzler trifft den Ton, den die Sozialdemokraten jetzt brauchen. Der Parteitag soll der Beginn der Aufholjagd sein.

Er kann es noch. Er ist ein Kampfredner, der die Menschen in seinen Bann zieht. Mit der Autorität seines früheren Amtes heizt Altbundeskanzler Gerhard Schröder den Genossen beim SPD-Bundesparteitag in Dortmund ein. "Nichts ist entschieden!", ruft der auch äußerlich durchaus gealterte Schröder den 635 Delegierten und 5000 Gästen in der Westfalenhalle entgegen. Nur wer das Amt des Bundeskanzlers wirklich wolle, werde es am Ende auch bekommen, sagt Schröder. Auf dem Weg dorthin dürfe es aber keine Selbstzweifel geben: "Nicht beim Kandidaten, nicht bei euch, nicht bei der deutschen Sozialdemokratie!"

Der 73-jährige Schröder trifft damit exakt den Sound, den die Partei und ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz in ihrer desolaten Lage jetzt brauchen. In den sechs Wochen nach dem Horror der verlorenen nordrhein-westfälischen Landtagswahl haben Schulz und seine Genossen Konzepte zur Rente, zu Steuern, innerer Sicherheit und Familienpolitik vorgelegt. Mit dem Parteitag ist nun auch das Wahlprogramm einstimmig beschlossen worden. Den anfänglichen Vorwurf der fehlenden konkreten Inhalte hat Schulz damit ausgeräumt.

Die Umfragen aber beschreiben trotzdem seit Ende April einen Sinkflug der SPD, seit sich Schulz aus Rücksicht auf Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihren Landtagswahlkampf zurückhielt. Von einst mehr als 30 Prozent auf dem Höhepunkt des Hypes um Martin Schulz sind nur noch 24 übrig. Der Abstand zur Union ist in der jüngsten Emnid-Umfrage auf 15 Prozentpunkte gewachsen.

Was Schröder davon hält? "Was damals ging, das geht heute auch", sagt er in Anspielung auf seine fulminante Aufholjagd vor der von ihm selbst ausgelösten vorgezogenen Bundestagswahl 2005, als Schröder binnen weniger Wochen rund 15 Prozentpunkte gegen Angela Merkel und die Union gutmachte. Wegen solcher Sätze hat SPD-Chef Martin Schulz den Altkanzler eingeladen, obwohl der am liebsten Schulz' Vorgänger Sigmar Gabriel im Rennen gegen die Kanzlerin gesehen hätte. Gabriel hingegen lehnt sich beim Parteitag entspannt zurück und äußert sich im Nachgang bei Twitter: Das sei ein "großartiger Auftritt" von Schulz gewesen.

Um wieder Wind unter die Flügel zu bekommen, will Schulz ein Signal der Geschlossenheit vom Parteitag in die Republik senden, will die Genossen motivieren, die in den nächsten knapp 100 Tagen für seinen Einzug ins Kanzleramt kämpfen sollen. Mit Spannung ist daher seine Rede erwartet worden: Würde es der Kandidat schaffen, der frustrierten Partei einen Ruck zu geben? Schulz weiß, was es braucht, und konzentriert sich in seiner knapp 90-minütigen Ansprache auf eine klare Abgrenzung zur Union. Dabei geht er deutlich weiter als bisher. Der Kanzlerin wirft er vor, vorsätzlich die Wahlbeteiligung zum Schaden anderer Parteien nach unten drücken zu wollen, indem sie sich zu Themen wie Rente nicht äußere. In Berliner Kreisen nenne man das vielleicht "asymmetrische Demobilisierung". "Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie", schmettert Schulz. Der Saal tobt, auf solche Brecher haben die Delegierten gehofft - auch schon in den Wochen zuvor.

Inhaltlich hebt Schulz auf die Familienpolitik ab und erinnert an die Blockade der Union beim Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. "CDU und CSU verharren in alten Rollenbildern", ruft Schulz. Er betont, dass die SPD kostenlose Bildung von der Kita bis zur Hochschule wolle. Die SPD setze auf Vielfalt, Toleranz, Kultur und Solidarität. "CDU und CSU treiben einen Keil in die Gesellschaft mit ihrer Angstmacherei und Leitkulturgefasel", ätzt Schulz.

Die stärksten Momente hat der Kanzlerkandidat jedoch bei den Themen Abrüstung, Rechtspopulismus und Europa. Während sich die Union für Aufrüstung im Sinne des Zwei-Prozent-Ziels der Nato und im Sinne von US-Präsident Donald Trump einsetze, warnt Schulz in seiner Rede vehement vor noch mehr Waffen. Deutschland stehe vor einer Richtungsentscheidung in Zeiten eines Umbruchs, sagt der Kanzlerkandidat. Die SPD sei immer ein Bollwerk gegen Rechtspopulismus gewesen, habe schon in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Vereinigten Staaten von Europa gefordert. Schulz spielt damit Glaubwürdigkeit aus, die er sich in den Jahren als Präsident des Europaparlaments erarbeitet hat, etwa als er nationalistische Abgeordnete aus Griechenland des Saals verwies.

Und mit fast schon gebrochener Stimme sagt er am Ende: "Für diese Idee habe ich mein ganzes Leben gekämpft." Das bleibt ihm, auch wenn es im September nicht mit den Einzug ins Kanzleramt klappen sollte. Bis dahin dürften sich die Sozialdemokraten nun den Schlusssatz Gerhard Schröders zu Herzen nehmen, des letzten noch lebenden Altkanzlers. Schröder spielt auf das alte Kampflied der chilenischen Sozialisten an: "Auf in den Kampf! Venceremos!" Das ist Spanisch und heißt: "Wir werden siegen."

(jd)
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