Düsseldorf Schulen stehen Cyber-Gewalt oft hilflos gegenüber

Düsseldorf · Fast jede vierte Frau zwischen 18 und 29 Jahren wird im Internet Opfer von Belästigungen. Die Landesregierung will gegensteuern.

Das jüngste prominentere Beispiel ist Özlem Demirel. Die Landessprecherin der Linkspartei erstattete diese Woche Strafanzeigen wegen Hasskommentaren und Bedrohungen im Internet. Nicht eine Strafanzeige, nicht zehn, sondern fast 100 stellte sie.

Als Politikerin ist Demirel zwar besonders exponiert. Von Cyber-Gewalt sind aber längst nicht nur Prominente betroffen. Frauen sind dabei Studien zufolge überdurchschnittlich häufig Zielscheibe von Anfeindungen und Hasskommentaren im Netz.

Nach einer Studie der Grundrechte-Agentur der EU aus dem Jahr 2012 hatten elf Prozent der 42.000 Teilnehmerinnen schon Belästigungen im Internet erfahren. Bei den 18- bis 29-jährigen Frauen lag der Anteil sogar bei 23 Prozent.

Auch in Nordrhein-Westfalen ist Cybergewalt weit verbreitet. "Das Phänomen berührt alle gesellschaftlichen Gruppen", sagte Joachim Eschemann, Leitender Kriminaldirektor des Landeskriminalamtes NRW, gestern im Landtag. Die Prävention müsse dringend verbessert werden, sagte er an die Landesregierung gerichtet. Viele Menschen wüssten gar nicht, ab wann Übergriffe und Beleidigungen im Internet strafbar seien.

NRW-Gesundheits- und Emanzipationsministerin Barbara Steffens (Grüne) hatte einen Landesaktionsplan aufgelegt, um Gewalt gegen Frauen und Mädchen insgesamt zu bekämpfen. Basis war der zwischen SPD und Grünen geschlossene Koalitionsvertrag. Gleichwohl stellten die SPD- und die Grünen-Fraktion nun im Landtag den Antrag, speziell gegen Cyber-Gewalt verschärft vorzugehen. Auch einigen der im Landtag angehörten Sachverständigen gingen die im Landesaktionsplan enthaltenen Vorschläge nicht weit genug.

Julia von Weiler von der Nichtregierungsorganisation "Innocence in Danger" forderte, Fort- und Ausbildungen in dem Bereich zu verbessern und entsprechend finanziell zu fördern. "Sonst funktioniert ein Landesaktionsplan nicht", kritisierte sie. Zudem müssten die Internet-Provider stärker zur Verantwortung gezogen werden.

Die Schulen allein seien mit dem Thema oft überfordert. Dabei wirke Cybergewalt umfassend wegen der Allgegenwart der Smartphones. "Und wer sich schützen will und sich aus sozialen Netzwerken zurückzieht, ist komplett isoliert." Zudem hätten Anfeindungen gegen Mädchen und Frauen häufig eine andere Dimension, weil sie oft sexualisiert seien.

Thorsten Quandt, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität Münster, wies darauf hin, dass Cyber-Mobbing an den Schulen extrem weit verbreitet sei. Rund 30 Prozent der Schüler seien hiervon betroffen. Dabei gehe es etwa darum, einzelne Schüler aus Whatsapp-Gruppen auszuschließen. Auch wenn es sich hierbei nicht um Gewalt im strafrechtlichen Sinne handele, sei dies für die Betroffenen eine schlimme Erfahrung.

Eva Ellereit von der Friedrich-Ebert-Stiftung machte darauf aufmerksam, dass im Internet insbesondere solche Debatten gezielt gestört werden, in denen es um Gleichstellungs- oder Geschlechterfragen gehe. In der Folge könnten Frauen sich künftig aus solchen Diskussionen verstärkt zurückziehen, fürchtet sie. "Das wäre eine Beschneidung ihrer demokratischen Freiheiten", so die Forscherin.

Ähnlich äußerte sich die Sozialwissenschaftlerin Maike Groen vom Institut für Medienforschung und Medienpädagogik der TH Köln: "Selbstverständlich hat die Frage, wie man im Internet partizipieren kann, etwas mit Demokratiebeteiligung zu tun."

(RP)
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