Interview mit Sylvia Löhrmann "Schulwechsel sind für Familien immer schwierig"

Die grüne NRW-Schulministerin über ihre neue Aufgabe als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, über die Unterschiede in den Schulsystemen der Bundesländer – und über falsche Ängste der Eltern.

Porträt: Das ist Sylvia Löhrmann
9 Bilder

Porträt: Das ist Sylvia Löhrmann

9 Bilder

Die grüne NRW-Schulministerin über ihre neue Aufgabe als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, über die Unterschiede in den Schulsystemen der Bundesländer — und über falsche Ängste der Eltern.

Helmut Kohl hat die Kultusministerkonferenz einmal als reaktionärste Einrichtung der Republik bezeichnet. Sind Sie stolz auf den neuen Job ?

Löhrmann Ich weiß nicht, wie oft Herr Kohl die KMK besucht hat — die Bundeskanzlerin war einmal bei uns, und da hat es keinerlei Beschimpfungen gegeben, sondern ein sehr konstruktives, sachbezogenes Gespräch. Über die KMK gibt es viele Vorurteile, aber sie ist wichtig, denn die Länder bestimmen den Bund. Kein Stolz, aber ich freue mich auf die neue Aufgabe.

Was wollen Sie verändern?

Löhrmann Ich bin nicht so naiv zu sagen: Hoppla, jetzt komme ich und kremple hier erst mal alles um. Das tut der Schul- und Wissenschaftspolitik nicht gut. Es geht darum, das, was wir seit der ersten Pisa-Studie auf den Weg gebracht haben, zielgerichtet weiterzuführen: sozial gerechter und besser zu werden — in der Breite und in der Spitze.

Schwarz-Rot hat sich nicht darauf einigen können, dem Bund wieder direkte Finanzierung von Schulen und Universitäten zu erlauben. Freuen Sie sich als Landespolitikerin, dass das Kooperationsverbot bestehen bleibt?

Löhrmann Die KMK hat dazu keine einvernehmliche Position. Ich persönlich bedauere, dass die große Koalition nicht die Kraft gefunden hat, diesen großen Fehler zu korrigieren — insofern ein klares Nein. Gleichwohl gilt es jetzt pragmatisch, aus den sechs Milliarden, die der Bund bis 2017 für Bildung vorgesehen hat, das Beste zu machen.

Was heißt das?

Löhrmann Wir sollten zum Beispiel versuchen, Mittel aus der Eingliederungshilfe auch für Inklusionshelfer an Schulen zu nutzen. Das könnte über das Sozialgesetzbuch gehen. Und die Kultusministerkonferenz wird Leitlinien zur Inklusion in der Lehrerbildung entwickeln.

Viele Lehrer und Eltern haben Angst vor diesem Riesenprojekt.

Löhrmann Diese Ängste und Sorgen nehmen wir ernst. Wenn Lehrkräfte sie äußern, zeugt das von einem hohen Berufsethos. Außerdem gehen wir in NRW bei der Inklusion schrittweise vor, und es gibt begleitende Unterstützungsmaßnahmen, zum Beispiel speziell geschulte Moderatoren in den Kompetenzteams, die die Schulen für gezielte Fortbildungen nutzen können.

Bei den Eltern steht auch der Bildungsföderalismus in der Kritik — es ist kaum noch zu vermitteln, warum wir 16 Schulsysteme brauchen.

Löhrmann Es gibt zwei berechtigte Ansprüche: Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit der Abschlüsse und die Mobilität zwischen den Bundesländern. Aber gleichwertig heißt nicht gleichartig. Deshalb gibt es die bundesweiten Bildungsstandards — die Frage, ob Jugendliche einen solchen Standard über eine Realschule, eine Gesamtschule oder ein Gymnasium erreichen, verliert dabei an Bedeutung.

Viele Familien haben Sorge, in ein anderes Bundesland zu ziehen.

Löhrmann Moment mal. Vielleicht ist der Wechsel innerhalb Düsseldorfs von einem Gymnasium auf ein anderes genauso gravierend. Schulwechsel sind immer schwierig — ein anderes Schulklima, neue Klassenkameraden, neue Lehrer. Manche Sorgen werden auf den Föderalismus geschoben...

... trotzdem gibt es zwischen den Ländern keine klare Vergleichbarkeit.

Löhrmann Die Eltern sollten beim Umzug herausfinden, welche Schule im neuen Umfeld sich ihres Kindes am besten annimmt und es weiterbringt. Trotzdem wird jede Schule immer unterschiedlich bleiben.

Heißt das, am Ende ist es gut, dass es keinen Automatismus für Umzüge in andere Bundesländer gibt?

Löhrmann Natürlich nicht. Aber es sollte immer das einzelne Kind im Mittelpunkt stehen.

Warum ist Bildungsföderalismus gut und notwendig?

Löhrmann Weil zentralistische Allmachtsfantasien kein Garant für erfolgreiche Reformen sind. Unterschiede sind regional begründet und gewachsen. Detailsteuerung von oben verspricht gerade in der Schule weniger Erfolg als Entwicklung von unten. Bestes Beispiel ist unser Schulkonsens.

Die ostdeutschen Bundesländer haben im Bildungsvergleich zuletzt gut abgeschnitten, NRW sehr schlecht...

Löhrmann ... in einem Bereich!

In einem wichtigen Bereich — Mathematik und Naturwissenschaften...

Löhrmann ...ja, bei dieser letzten Vergleichsstudie waren wir leider schlecht. Daran wird gearbeitet.

Was können wir vom Osten lernen?

Löhrmann Auch an die Frage gehe ich ganz unideologisch heran. Wir werden Experten, auch aus Sachsen, zu einem Forum einladen, um dieser Frage nachzugehen. Offenbar haben die vielen mathematisch-naturwissenschaftlichen Initiativen auch bei uns noch keine systematische Entwicklung ausgelöst. Aber wir haben Fortschritte gemacht — Mathematik ist bei uns zum Beispiel verpflichtender Bestandteil der Grundschullehrer-Ausbildung. Wir müssen daran arbeiten, die Qualität in die Fläche zu bringen.

JASMIN BUCK, MARTIN KESSLER UND FRANK VOLLMER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort