Berlin Schulz: "Uns ist noch nie etwas geschenkt worden"

Berlin · Zu Beginn der traditionellen Spargelfahrt des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD war die Stimmung auf dem Berliner Wannsee gestern angespannt - angesichts des Umfragetiefs, drei verlorener Landtagswahlen und dem kurz zuvor bekannt gewordenen Personalwechsel an der Parteispitze. Dass Familienministerin Manuela Schwesig den erkrankten Erwin Sellering als Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern ablösen, ihr wiederum Generalsekretärin Katarina Barley im Ministerium nachfolgen und deren Job der Fraktionsvize Hubertus Heil übernehmen würde, hatte am Morgen noch keiner gedacht.

Ein Schlag für die Sozialdemokraten wenige Monate vor der Wahl? Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz weist das scharf zurück. Der SPD sei noch nie etwas geschenkt worden, "wir sind eine Partei, der vieles nicht verziehen wird", hängt Schulz dran und das müsse man annehmen. Aber das brauche Kraft. Seit Wochen, so bemängeln selbst ranghohe Sozialdemokraten, zeige der Parteichef zu wenig Kante. Auf dem Boot holte das Schulz gestern zumindest teilweise nach. In Anlehnung an ein Zitat des Predigers in der Wuppertaler Kirchengemeinde von Johannes Rau rief Schulz den Genossen entgegen: "Wenn ihr doppelt so viel kämpft, wie ihr kämpfen wolltet, habt ihr nur halb so viel gekämpft, wie der Kanzlerkandidat von Euch erwartet." Solche markigen Worte sind es, auf die man in der Partei gewartet hat. Schulz weiß aber auch, wie quasi parteiinterne Ansprachen wie diese funktionieren: Ohne Witz geht es nicht. Er habe gelernt, dass sich linker und rechter SPD-Flügel immer mehr annähern würden. Allerdings, und das meint er ernst, seien die unterschiedlichen Strömungen wichtig, um mit der SPD eine große Bandbreite der Wähler ansprechen zu können.

Schulz und seine Genossen haben das nötig. In den Umfragen liegen sie deutlich hinter der Union, viele Menschen fragen nach mehr Abgrenzung zu CDU und CSU und bei den Beliebtheitswerten rangiert Schulz weit hinter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sogar - wer hätte das noch vor einigen Monaten gedacht - hinter Ex-SPD-Chef und Außenminister Sigmar Gabriel. Schulz spricht das direkt an, nennt Gabriel einen "tollen Typ" und sagt dann, er müsse keinen Wettbewerb, sondern die Menschen gewinnen. Schulz bekommt Zustimmung, Applaus, er wird als bester Kandidat noch nicht infrage gestellt.

Auch um das zu dokumentieren, ist fast die gesamte Parteispitze an Bord. Neben Schulz und Gabriel sind etwa Arbeitsministerin Andrea Nahles, Justizminister Heiko Maas, Umweltministerin Barbara Hendricks, Fraktionschef Thomas Oppermann sowie prominente Genossen aus den Ländern gekommen: darunter Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, NRW-Innenminister Ralf Jäger sowie sein niedersächsischer Amtskollege Boris Pistorius. Insgesamt hatten die Köche für die rund 600 Gäste eine halbe Tonne Spargel verarbeitet.

Die Spargelfahrt gilt im politischen Berlin als eine der wichtigsten Veranstaltungen. Seit 1961 fand sie - mit zwei Ausnahmen - jährlich statt, in Bonner Zeiten zuerst auf dem Rhein, nach 1999 und dem Hauptstadtwechsel nach Berlin auf dem Wannsee. Der Seeheimer Kreis als Gastgeber, heute angeführt vom Hamburger Haushaltspolitiker Johannes Kahrs, gründete sich Mitte der 70er Jahre als Nachfolgeorganisation der "Kanalarbeiter", die sich als Prätorianergarde von Kanzler Helmut Schmidt verstanden.

(jd)
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