Erlangen Seehofer ist Ministerpräsident auf Abruf

Erlangen · Der CSU-Chef hofft, sich mit einem guten Ergebnis bei den Sondierungen in Berlin zu retten. Doch selbst Parteifreunde sind skeptisch.

Seit zehn Jahren ist Horst Seehofer Vorsitzender der CSU, seit neun Jahren Ministerpräsident des Freistaats Bayern. Doch dass der 68-jährige Arbeitersohn aus Ingolstadt diese Rollen auch im kommenden Jahr noch ausfüllen darf, ist inzwischen so wahrscheinlich wie Schneefall auf Jamaika. Nach dem schlechtesten Ergebnis der CSU bei einer Bundestagswahl seit 1949 gilt Seehofer als angeschlagen.

Nun fordert die einflussreiche Junge Union in Bayern mitten in den Sondierungsverhandlungen in Berlin öffentlich einen Neuanfang an der Spitze Bayerns. Beim Delegiertentreffen der Nachwuchsorganisation in Erlangen wurde eine Erklärung verabschiedet, die keine Zweifel lässt: "Für einen Erfolg bei der Landtagswahl im kommenden Jahr braucht es einen glaubwürdigen personellen Neuanfang."

Und dann der Satz: "Bei allen Verdiensten, die sich Horst Seehofer in vielen Jahrzehnten für die CSU, Bayern und Deutschland erworben hat, muss er jetzt den Weg bahnen für einen geordneten Übergang an der Spitze der Staatsregierung." Einige junge Konservative hatten in den Beratungen zur Erklärung sogar gefordert, dass in dem Papier auch das CSU-Spitzenamt erwähnt werden sollte, das Seehofer noch innehat.

So kam es nicht. Seehofers Sessel als Parteivorsitzender wackelt dennoch. Sein wahrscheinlicher Nachfolger in zumindest einem der beiden Ämter, der bayerische Finanzminister Markus Söder, wurde bei der JU-Tagung gefeiert wie ein Heilsbringer. Seehofer versucht seit der Bundestagswahl, die Personaldebatte bis zum Parteitag Mitte Dezember unter der Decke zu halten. Am 24. September hatte die CSU nur noch 38,5 Prozent der Stimmen in Bayern geholt, vor vier Jahren waren es noch 49,3 Prozent gewesen.

In den Jamaika-Verhandlungen in Berlin sei Seehofer kämpferisch unterwegs, heißt es dort. Er hofft, sich mit einem guten Verhandlungsergebnis in Berlin noch retten zu können. Doch auch die Parteifreunde in Berlin sind skeptisch. Ein Unions-Unterhändler bezeichnete die Rolle des CSU-Chefs in den Sitzungen als "das Aufbäumen eines Halbtoten". Niemand rechne bei den Jamaika-Sondierern damit, dass Seehofer im Amt bleibe.

CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die seit zwei Jahren eine intensive Fehde mit dem CSU-Chef in der Flüchtlingspolitik austrägt, hat allerdings kein Interesse an einem Wechsel bei der Schwesterpartei. Mit Söder, dem ehrgeizigen und selbstbewussten Scharfmacher, könne sie noch weniger anfangen, heißt es im Merkel-Lager. Im politischen Berlin zirkuliert seit Tagen ein gesichtswahrendes Szenario für Seehofer. Demnach verliert er zwar sein Ministerpräsidentenamt in München, darf aber als CSU-Chef im Bundeskabinett unter Merkel ein Ministeramt bekleiden. So wie 2005 bis 2008, als Seehofer im ersten Kabinett Merkel Landwirtschaftsminister war.

Heute gehen in Berlin die Jamaika-Sondierungen in die entscheidende Phase. Unter anderem kommt Merkel mit Seehofer, den Grünen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sowie Christian Lindner und Wolfgang Kubicki von der FDP zusammen - einige brisante Themen sind nur separat auf Chef-Ebene zu klären.

(brö)
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